Von Agenda 2010 zu Agenda 2030

Ein Rückblick auf das, was uns blüht.

Die Rufe der letzten Jahre für eine Agenda 2030 werden mit dem Ausruf des Herbsts der Reformen und den damit einhergehenden Angriffen auf die Arbeiterklasse nun konkret. Vizekanzler Lars Kingbeil nahm dabei selbst Bezug auf die Agenda 2010: „Schröder hat mutige Reformen angepackt“, sagte er der Zeit. „Auch heute brauchen wir umfassende Reformen, damit unser Sozialstaat stark, aber auch bezahlbar bleibt und besser funktioniert“. Diese Worte dürfen als Warnung verstanden werden, denn der Blick zurück auf die Agenda 2010 zeichnet ein bitteres Bild davon, was in nur wenigen Wochen und Monaten gegen uns aufgezogen wird.

Was uns die Agenda 2010 brachte

Blicken wir zurück: Unter der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) wurde Anfang der 2000er Jahre eine Serie an Reformen durchgezogen, die als für die Modernisierung des Sozialstaates und der Stärkung des Standortes Deutschlands notwendig verkauft wurden. Und so trat der damalige Bundeskanzler am 14. März 2003 vor den deutschen Bundestag und erklärte unter dem Motto „Mut zum Frieden – Mut zur Veränderung“: „Wir müssen den Mut aufbringen in diesem Land jetzt die Veränderungen vorzunehmen, die notwendig sind, um wieder an die Spitze der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in Europa zu kommen“. Ausgerufen wurden dabei etliche Reformen der Rente, staatlicher Leistungen und des Arbeitsrechts. Das Herzstück der Agenda 2010: Die Hartz-Reformen. „Fördern und Fordern“ hieß es, und heißt es auch heute noch, wenn wir uns nur an die Sondierungsgespräche von CDU und SPD Anfang des Jahres zurück erinnern. Mit der Hartz-IV-Reform wurde die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe als Arbeitslosengeld zusammengelegt und drückte samt massiver Einsparungen die Unterstützung für Arbeitslose auf ein absolutes Existenzminimum. Mit einher gingen sämtliche Maßnahmen, die zur besseren Disziplinierung von Hartz-IV-Empfängern dienten: Die „Unzumutbarkeit“, die zuvor Arbeitslose davor schützte, nur in Stellen vermittelt zu werden, die mit der vorherigen vergleichbar gewesen ist, wurde faktisch abgeschafft. Somit wurden sie gezwungen, für das Kapital jede Tätigkeit zu verrichten, die zur Profitmaximierung notwendig war. Die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld wurde enorm gesenkt und die Verschärfung von Sanktionen brachte eine permanente Kontrolle jedes Einzelnen durch den Staat mit sich. Mit der Agenda 2010 kamen weitere Angriffe auf die Errungenschaften der Arbeiterklasse: Der Kündigungsschutz wurde gelockert, befristete Beschäftigungen wurden durch das eingeführte Teilzeit- und Befristungsgesetz zur Normalität und Minijobs („450-Euro-Jobs“) wurden forciert. Auch die Leiharbeit fand in der Agenda 2010 ihren Höhepunkt: Durch die Einführung der Personal-Service-Agenturen wurden in der Hartz-I-Reform Agenturen geschaffen, die unter Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit Arbeitslose als Leiharbeiter vermittelten. Durch die Rentenreformen wurde das Rentenalter erhöht und Kranken- und Pflegeversicherungen wurden so umgewälzt, dass Versicherte immer mehr Zusatzbeiträge bezahlen mussten. Die Folgen der Agenda 2010 spüren wir bis heute: Deutschland entwickelte sich zu einem Niedriglohnland, in dem heute noch rund jeder Fünfte im Niedriglohnsektor arbeitet. Die Schere zwischen Arm und Reich ging weiter auseinander, damit das deutsche Kapital konkurrenzfähig bleiben konnte.

Wieso das Ganze?

Hinter dem, was uns oft als Lebenswerk von Gerhard Schröder höchstpersönlich dargestellt wird, steckte die brutale Durchsetzung der Interessen der deutschen Monopole, um den Standort Deutschlands für sie profitabel zu machen. Bereits die im Jahre 2000 auf dem Sondergipfel der europäischen Staaten beschlossene „Lissabon-Strategie“ hatte sich zum Ziel gesetzt, die Europäische Union innerhalb von zehn Jahren zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen, um auf dem Weltmarkt mit Ländern wie der USA und Japan konkurrieren zu können. Darin galt es für Deutschland gegenüber den anderen europäischen Ländern eine Vorbilds- und Führungsrolle einzunehmen – was in der Agenda 2010 seine konkrete Angriffsform annahm. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in den Jahren nach der „Wiedervereinigung“ und der wirtschaftlichen Stagnation Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre lag Deutschlands BIP unter dem europäischen Durchschnitt und Deutschland haftete das Label des „kranken Mannes in Europa“ an, den die Agenda 2010 wieder auf die Beine brachte. Die Rufe zur sogenannten „Flexibilisierung“ des deutschen Arbeitsmarktes wurden lauter, um den Standort für die Ausbeutung der Arbeitskräfte und durch niedrigere Steuern und Bürokratieabbau für die Konzerne attraktiv zu machen. Während andere europäische Länder, insbesondere in Osteuropa, zu diesem Zeitpunkt bereits massive Lohndrückerei und Reformen umsetzten und dadurch profitbringender produziert werden konnte, galt es für Deutschland, nun endlich nachzuziehen. Vor diesem Hintergrund wurde im August 2002 von der einberufenen „Hartz-Kommission“ unter Vorsitz des damaligen Personalvorstandes der Volkswagen AG, Peter Hartz, Vorschläge für eine Reform erarbeitet, wie die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland „effizienter“ gestaltet werden könne. Diese wurden in vier Phasen (Hartz I bis VI) in den darauffolgenden Jahren durch die Bundesregierung umgesetzt.

Die Einberufung dieser Kommission und die Durchsetzung der Reformen sind also nicht einfach vom Himmel gefallen – ihnen gingen jahrelange Forderungen seitens dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem Bundesverband Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Gesamtmetall und weiteren Wirtschaftsverbänden voraus. Bereits im Jahre 2000 forderte der BDI in einer Pressemitteilung zum Wirtschaftsbericht 2000 Reformen zur Unternehmensbesteuerung und beklagte, dass der Sozialstaat so nicht mehr zu tragen sei. Auch das „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“, bestehend aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, kamen sozialpartnerschaftlich zu dem Ergebnis: Es brauche flexible Arbeitszeiten, Steuersenkungen für Unternehmen und eine drastische Senkung der Lohnnebenkosten. Ein Gesamtreformkonzept des BDI folgte, welches Anfang des Jahres 2003 vorgeschlagen und im September 2003 auf einem Kongress von Politikern und Konzernchefs unter dem Motto „Freiheit wagen – Fesseln sprengen“ verabschiedet wurde. In diesem wurde nochmals dringlichst appelliert, auf das „Reformtempo“ zu drücken. Somit waren die Forderungen des Kapitals an die Bundesregierung deutlich gestellt worden – und diese reagierte ohne Zögern.

Der Herbst der Reformen

Heute stehen wir vor einem ähnlichen Spiel: Erneut wurde eine Kommission unter dem Namen „Kommission zur Sozialstaatsreform“ einberufen, die beauftragt wurde, bis Ende des Jahres konkrete Vorschläge zu erarbeiten, wie staatliche Leistungen „modernisiert“ und die Bürokratie für Konzerne abgebaut werden kann. Der Druck seitens des deutschen Kapitals auf die Bundesregierung wächst. Mit dem Herbst der Reformen sind etliche Gesetze und eine „Sanierung des Bundeshaushaltes“ geplant, um den Konzernen einen nährhaften Boden zu bereiten. Die Reformen, die umgesetzt werden sollen, haben für die Arbeiterklasse nichts übrig, sondern stehen allein im Dienste des Kapitals. Die Rechnung dafür zahlen werden die Arbeiter, Frauen, Rentner, Arbeitslose und die Jugend. Und so können es nur diese sein, die sich organisiert dagegen zur Wehr setzen müssen.