Große Fandemo in Leipzig

Am Sonntag waren 20.000 gegen Einschnitte in die Fankultur auf der Straße - der Protest richtet sich auch gegen den Ausbau der Überwachung und die innere Aufrüstung.

Gegen die geplanten Einschnitte der Fankultur durch die Innenministerkonferenz gingen am Sonntag etwa 20.000 Fans unter dem Motto: „Der Fußball ist sicher! Schluss mit Populismus! – Ja zur Fankultur“ auf die Straße. Der Zusammenschluss ,,Fanszenen Deutschland“ hatte mit weiteren Bündnissen zur Demonstration in Leipzig aufgerufen.

Rivalen wie Dynamo Dresden und Hansa Rostock, Bayern München und 1860 München oder Union Berlin und Hertha Berlin zogen gemeinsam über den Innenstadtring in Leipzig. Bilder mit Seltenheitswert und Bilder, die zeigen: die Fans meinen den Kampf gegen die geplanten Angriffe auf ihre Fankultur und Rechte ernst. Die Kurven und Gruppen präsentierten dabei viele Elemente aus dem Stadion, wie Schwenkfahnen, Doppelhalter oder Vorsänger und kreierten so optisch und akustisch eine kreative und ausdrucksstarke Demonstration.

Harte Konsequenzen gegen konstruierte Gefahren

Doch was bringt die deutschen Kurven so in Aufruhr? Anfang Dezember soll auf der Innenministerkonferenz über neue Beschlüsse bezüglich der Sicherheit in deutschen Stadien diskutiert und abgestimmt werden. Die Forderungen hat im Vorfeld die dafür einberufene „Bund-Länder-offenen-Arbeitsgruppe“ kurz „BLoAG“ herausgearbeitet. Diese setzt sich aus „Vertretern aus Politik, Polizei, dem Deutschen Fußball Bund (DFB), der Deutschen Fußball Liga (DFL) und der Koordinierungsstelle Fanprojekte (KOS)“ zusammen. Vertreter aus Fankreisen waren nicht involviert.

Für mehr Sicherheit im Stadion sollen unter anderem Stadionverbote noch konsequenter ausgesprochen und umgesetzt werden. Im Einzelnen bedeutet dies, dass Stadionverbote zwar weiterhin durch die vereinseigenen Kommissionen ausgesprochen und verhängt werden, darüber hinaus aber eine zentrale Stadionverbotskommission die Einhaltung der Richtlinien kontrolliert und gegebenenfalls umsetzt. Die bereits jetzt nur schwer mit der vielberufenen „Rechtsstaatlichkeit“ zu vereinbaren Stadionverbots-Richtlinien sollen dabei ausgebaut werden. So soll die Verhängung eines Stadionverbots bei Einleitung eines Ermittlungsverfahrens von einer Ermessens- in eine Pflichtentscheidung umgewandelt werden. Bevor ein Sachverhalt also aufgeklärt ist, soll der betroffene Fan schon „bestraft“ werden und für drei Monate kein Spiel besuchen dürfen.

Andere Forderungen werden zwar nicht gleichermaßen konkret gestellt, lassen aber dennoch weitreichende Folgen erahnen. So soll zum Beispiel ein „personalisiertes EDV-gestütztes und manipulationssicheres Check-in-System eingeführt werden“. Im Klartext dürfte damit wohl eine digitale Gesichtserkennung mit Hilfe künstlicher Intelligenz am Einlass gemeint sein. Ein erheblicher Eingriff in die Privatsphäre der Fans. Gerade solche Forderungen zeigen, wie Maßnahmen, die zum „Schutz“ vor Randgruppen wie vermeintlich gewaltbereiten Fußballfans eingeführt und erprobt werden, dann im Anschluss bestens geeignet sind in der breiten Öffentlichkeit zum Einsatz zu kommen und die Überwachung der Bevölkerung voranzutreiben.

Befeuert werden diese Forderungen von populistischer Stimmungsmache der Innenminister.

Dabei zeigen die Statistiken des Jahresberichts der „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“, dass die Zahl der verletzten Personen während Spielen der ersten drei Ligen einen Rückgang von -17,2% von 1.338 auf 1.107 zur vorherigen Saison verzeichnete. Bei insgesamt über 25 Millionen Zuschauern 2024/2025 im Ligabetrieb ein außerordentlich kleiner Anteil. „Das große Sicherheitsrisiko Fußballstadion“ erscheint nicht nur konstruiert, sondern ist es faktisch auch.

Natürlich soll für alle Fußballbegeisterten ein sicherer Stadionbesuch möglich sein. Niemand soll um seine eigene oder die Gesundheit von Freunden und Familie fürchten müssen, wenn man ein Spiel des Lieblingsvereins besucht. Nicht weitere Verbesserungen der Stadiensicherheit sind das Problem bei diesen geplanten Maßnahmen, sondern die populistische Stigmatisierung der Fankultur und der Ausbau der Überwachung und die Einschränkung der persönlichen Rechte unter dem Vorwand der „Sicherheit für alle“, vor allem zugunsten der Kommerzialisierung des Fußballs. Die aktive Fan- und Ultraszene wird dabei gezielt als Sicherheitsrisiko inszeniert, denn diese stehen der Kommerzialisierung des Fußballs immer wieder im Weg und sind damit den Investoren und Übertragungsanbietern ein Dorn im Auge. Der Vorstoß der IMK soll Lobbyinteressen schützen, nicht die Stadionbesucher.

Ob Palantir, Regelabfrage oder Polizeigesetze – mehr Überwachung und Repressionen allerorts

Diese Pläne der IMK gegen die Fußballfankultur müssen in ein Gesamtkontext eingeordnet werde. Denn nicht nur im Fußball zeigen sich Bestrebungen nach mehr „Sicherheit“. So wird neben Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen demnächst ein weiteres Bundesland ihren Ermittlungsbehörden ein umstrittenes Instrument zur Hand geben. So beschloss der baden-württembergische Landtag (mit Stimmen von CDU, Grüne, SPD, FDP/DVP und AfD) vergangenen Mittwoch Änderungen am Polizeirecht um die Nutzung der Überwachungssoftware „Gotham“ des amerikanischen Konzerns Palantir zu ermöglichen. Das Landesinnenministerium hatte den Vertrag mit Palantir dabei schon im Frühjahr dieses Jahres abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt wäre der Einsatz der Software durch die Polizei nicht mit dem geltenden Landesrecht vereinbar, das heißt illegal, gewesen. Die Software erlaubt es, massenhaft gesammelte Daten aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen und mit Hilfe von KI auszuwerten. Eine Möglichkeit, welche sich in Zukunft wohl auch der Bund und weitere Länder nicht nehmen lassen wollen.

Unzufriedenheit als Bedrohung der bestehenden Verhältnissen

Die Entwicklung hin zu repressiveren Maßnahmen im Stadion und die damit einhergehende Beschneidung der Fankultur reiht sich also ein in den allgemeinen Drang der Regierungen nach mehr Überwachung und repressiveren Maßnahmen, einer allgemeinen inneren Aufrüstung. Ins Visier gerät dabei jede Art von Protest und Kultur, die die Politik der Landes- und Bundesregierung in Frage stellt. Ein weiteres Beispiel: Ab kommendem Jahr soll die Regelabfrage beim Verfassungsschutz vor Eintritt in den öffentlichen Dienst in Hamburg wieder eingeführt werden. Das bedeutet eine breite Gesinnungsprüfung der Bewerber – faktisch werden damit die Berufsverbote der 70er Jahre wiederbelebt.

Es zeigt sich, dass der Staat gegen die bereits aufkeimende und weiter fortschreitende Unzufriedenheit gewappnet sein will. Eine Unzufriedenheit, welche nicht von Ungefähr kommt. Dass daraus keine ernsthafte Bedrohung der bestehenden Verhältnisse entspringt, soll offensichtlich nicht dem Zufall überlassen werden.

Die Rolle der Fans

Organisierte Fußballfans und insbesondere Ultras haben auch in der Vergangenheit häufig eine kritische Position gegen Überwachung und Kommerzialisierung eingenommen, etwa bei Verschärfungen von Polizeigesetzen oder dem immer stärkeren Ausverkauf ihres Sportes und damit einhergehenden Problemen wie steigenden Preisen.

Im Frühjahr 2024 war ihr Widerstand von Erfolg gekrönt. So konnte ein geplanter Investorendeal der DFL durch bundesweite Protestaktionen verhindert werden. Dabei zogen wie in Leipzig der Großteil der Fanszenen an einem Strang und ließen Rivalitäten im Sinne eines gemeinsamen Kampfes hinter sich. Allerdings gehen die Forderungen der Fans meist nicht über vermeintlich Fußball-spezifischen Thematiken hinaus und Probleme werden losgelöst von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen betrachtet.

Dennoch kann ihr Kampf gegen Überwachung, Repression und Kommerzialisierung einen wertvollen Beitrag leisten, indem er auf einige wichtige Aspekte der inneren Aufrüstung und der Angriffe auf unsere Rechte aufmerksam macht. Diese Maßnahmen sind Bestandteil der so genannten „Kriegstüchtigkeit“, die für die Bundesregierung aktuell höchste Priorität besitzt.

Umso wichtiger ist es den Protest und die Einheit der Fans zu unterstützen und innerhalb der Fanszenen das Bewusstsein darüber zu stärken, dass die Probleme im und außerhalb des Stadions gleiche Ursachen teilen und der Kampf für unsere demokratischen Rechte ein gemeinsamer sein muss, der nicht an den Stadiongrenzen halt macht.