Mit diesem Totschlagargument wird jede Kürzung und jeder Angriff von oben gerechtfertigt. Bei näherem Hinschauen wird jedoch deutlich, dass der Sparzwang keineswegs für alle gilt, sondern vielmehr ein Mittel ist, die Arbeiterklasse für die Projekte des Kapitals zahlen zu lassen.
Steigen die Sozialausgaben?
Zunächst scheint es klar: Der Haushalt unterliegt der Schuldenbremse. Wenn also mehr Ausgaben anfallen, während die Einnahmen nicht entsprechend mitwachsen, dann muss gespart werden. Nun scheint es in der aktuellen Debatte gerne, als ob die Sozialausgaben wachsen würden. „Wir können uns das System nicht mehr leisten“, sagte Kanzler Merz kürzlich bei einer Rede in NRW. In absoluten Zahlen sieht das erstmal richtig aus: So titelte tagesschau im August, dass die Ausgaben für Sozialhilfe kräftig ansteigen würden, und setzte dies in Zusammenhang mit den Forderungen nach Einsparungen: „Die schwarz-rote Bundesregierung hat sich eine Reform der Sozialsysteme vorgenommen, um die steigenden Kosten zu senken.“
In absoluten Zahlen stimmt es, dass die Sozialausgaben wachsen. Die relevante Zahl ist jedoch keineswegs die absolute Zahl der Ausgaben, sondern die Höhe im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Schließlich ist es klar, dass Staatseinnahmen- und ausgaben wachsen, wenn Preise und Einkommen steigen. Bei den relativen Zahlen sieht es vollkommen anders aus: Eine Auskunft der Bundesregierung zeigte kürzlich, dass die Sozialausgaben gemessen an der Wirtschaftskraft seit 2015 gar nicht gewachsen sind: „Demnach brachte der Bund im Jahr 2024 einen Anteil von 5,53 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für soziale Sicherung auf – im Vergleich zu 5,64 Prozent im Jahr 2015. Auch im Jahr 2000 waren es 5,63 Prozent. Nur in Krisenjahren dazwischen gab es einige Ausreißer nach oben“ (Quelle: Sozialverband VdK). Genau so sieht es bei der gesamten Staatsquote aus, also dem Geld, was auch von Ländern und Kommunen insgesamt für Sozialausgaben aufgebracht wird. Trotzdem sind es jetzt genau diese Ausgaben, an die der Rotstift gesetzt wird. Und je genauer man hinschaut, desto absurder wird die Debatte.
Wieviel macht das Bürgergeld aus?
Die Kürzung des Bürgergeldes dominierte die Öffentlichkeit zuletzt – 5 Milliarden will die Union hier einsparen. Wie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, soll nun das Bürgergeld zu einer „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umgebaut werden, mit geplanten Verschärfungen, stärkeren Sanktionen und weniger Leistungen. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) kündigte beim Bürgergeld in Zeiten von steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten bereits eine Nullrunde ohne steigende Regelbedarfe an. Dass dieses Thema so im Vordergrund steht dürfte aber nichts mit der tatsächlichen Relevanz zu tun haben: 2023 kostete das Bürgergeld 54 Milliarden Euro, 1,3 % des BIP und damit 0,5 % weniger als 2010. Auch der Schwerpunkt der Diskussion um sogenannte Totalverweigerer zeigt die Unverhältnismäßigkeit: In Deutschland erhalten etwas 5,5 Millionen Menschen, also etwas über 8 %, Bürgergeld. Nur etwa 1,7 Millionen Empfänger sind tatsächlich arbeitslos, zwei Drittel von diesen Menschen haben keinen Berufsabschluss. 2 Millionen sind nicht erwerbsfähig, worin auch die 800.000 Aufstocker enthalten sind, deren Lohn nicht reicht. Weitere 1,6 Millionen Menschen sind nicht erwerbsfähig, die meisten davon sind Kinder. Die Quote der Totalverweigerer liegt damit bei ca. 0,4% – 16.000 Personen. Doch natürlich sind es genau diese, um die in der Debatte ein großes Thema gemacht wird. Daher kommt auch das große Interesse an der Erhöhung des Drucks auf Bürgergeldbezieher, wo die Prüfquote 44 %, die Betrugsquote jedoch nur 2 % beträgt. Damit werden 60 Millionen Euro eingespart. Das hört sich viel an, fällt aber bei einem Bundeshaushalt 2025 von rund 500 Milliarden Euro kaum ins Gewicht. Bei Millionären hingegen beträgt die Prüfquote nur 6 %, aber die Betrugsquote 75 %. Der Schaden beträgt selbst bei dieser geringen Prüfquote enorme 100 Milliarden Euro. Alle Zahlen zeigen: Der Staat müsste einfach einen Teil der Kontrolleure beim Bürgergeld abziehen und für Steuerbetrüger einsetzen und könnte hunderte Milliarden der ihm nach Gesetz zustehenden Steuern eintreiben. Aber es wird für das Gegenteil getrommelt. Bürgergeldempfänger sollen noch schärfer kontrolliert und schikaniert werden, während für das Kapital unter dem Schlagwort „Entbürokratisierung“ noch weniger Kontrollen erfolgen sollen.
Zwei Seiten einer Medaille
Schaut man sich einmal an, woher die Rufe nach der Sparpolitik kommen, wird deutlicher, worum es eigentlich geht: Es sind in erster Linie die Arbeitgeber, die nach geringeren Sozialausgaben rufen. Hier wird auch deutlich, dass die aktuellen Kürzungen und die Angriffe auf die Arbeitsbedingungen und Löhne zwei Seiten einer Medaille sind. So ist es dieselbe Wirtschaftsweise, Veronika Grimm, die einerseits fordert, die fordert, Leistungen zu kürzen: „Wir müssen ehrlicher sein, wenn es darum geht, welche Leistungen wir in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung tatsächlich bezahlen können und welche nicht.“ Wir, das sind in diesem Fall die Arbeitgeber, um die es ihr in erster Linie geht, für die der Arbeitgeberanteil der Sozialabgaben und damit die Lohnkosten nicht steigen sollen. Noch deutlicher erklärt es der Verband der Chemie-Arbeitgeber: „Bei kurzfristig fixen Bruttolöhnen und steigenden Beitragssätzen muss der höhere Arbeitgeberanteil zusätzlich erwirtschaftet werden. Die Folge sind höhere Lohnstückkosten, die die preisliche Wettbewerbsfähigkeit schwächen.“
So wie die Sozialausgaben für Renten-, Pflege- oder Krankenversicherung bzw. die Abgaben für die Arbeitgeber sinken sollen, so werden von der anderen Seite die Löhne gedrückt und die Arbeitsbedingungen angegriffen: Der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, schlug beispielsweise die Streichung eines Feiertages vor. Auch in den kommenden Lohnrunden in entscheidenden Branchen wie Metall- und Elektro und Chemie müssen sich die Beschäftigten auf harte Angriffe gefasst machen. Ob nun also die Arbeitgeber für geringere Abgaben trommeln oder direkt die Löhne drücken – beides geht letztendlich von dem von den Beschäftigten erarbeiteten Geld ab. Es dürfte niemanden wundern, dass die Vertreter dieser Klasse auch diejenigen sind, die die einfachste und auf der Hand liegende Lösung für die knappe Staatskasse strikt ablehnen: Die Vermögenssteuer. So formulierte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger: „Dass Teile der Politik überhaupt im dritten Jahr der Rezession über Steuererhöhungen sprechen, ist ein Armutszeugnis“. Wenig wird darüber gesprochen, dass allein die 1996 ausgesetzte Vermögenssteuer dem Land seither über 380 Milliarden Euro gekostet hat – das entspricht 80 % des Bundeshaushaltes 2024 (Oxfam Deutschland).
Sparen wofür?
Der gesamte Sparzwang hat jedoch nicht nur den Zweck, die Abgaben für das Kapital zu mindern. Es geht auch darum, die Ausgaben für andere Bereiche zu ermöglichen, ohne den Haushalt zu stark zu belasten. Da wäre einerseits die Rüstung, für die in Zukunft 5 % des BIP investiert werden soll. „Die Aufrüstung ist nötig zur Verteidigung“ und „wir müssen sparen“ gehen Hand
in Hand und werden durch ständige Beschallung von Politik und Medien fast zu Volkswahrheiten. Und so wurde einerseits die Schuldenbremse für Rüstung aufgehoben und andererseits mehrere Sondervermögen aufgesetzt, für die diese Schuldenbremse sowieso nicht gilt. Insgesamt gibt es zahlreiche Ausgaben, die die Schuldenbremse umgehen – die sogenannten Sondervermögen, von denen insgesamt 29 Stück laufen, darunter das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, das Sondervermögen aus der Pandemie sowie das neue 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität, das auch in erster Linie der Aufrüstung dient. Diese Sondervermögen dienen auch dazu, Unternehmen unter die Arme zu greifen und sie zu subventionieren. Der Sparzwang ist also nur unter der Voraussetzung so ein großes ein Problem, dass einerseits massiv aufgerüstet wird und andererseits Reiche und Konzerne entlastet und unterstützt werden – es sind nicht die Sozialausgaben, die steigen. Ein weiteres Problem: Die Schulden, die für diese Sondervermögen aufgenommen wurden, werden aus dem regulären Haushalt bezahlt und nach einigen Jahren fällig. Und die Zinslast, die heute schon bei ca. 40 Milliarden aus dem Bundeshaushalt liegt, wird laut dem Bund Deutscher Steuerzahler 2029 bereits 60 Milliarden betragen. Was das für die kommenden Generationen heißt, ist klar: Sparen!
Dazu ist es aktuell notwendig, vor allem unter den Arbeitern und Angestellten, in den Gewerkschaften und überall in der Gesellschaft gegen den „Herbst der Reformen“ und die unsozialen Sparmaßnahmen zu mobilisieren. Die Menschen müssen sich wehren und in diesem Kampf ihre Gegner und deren Verlogenheit und Demagogie durchschauen lernen. In diesem Kampf können sie sich stärken, Klarheit gewinnen, ihre Interessen verteidigen und weiter in Richtung einer neuen, solidarischen Gesellschaft voranschreiten – dem Sozialismus.