Anfang des Jahres wurde das Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaneutralität von der Bundesregierung veranlasst. Dabei geht es um die Sanierung der deutschen Infrastruktur, insbesondere der Bahnstrecken und Autobahnbrücken, in den nächsten zwölf Jahren.
Bauunternehmer machen Druck
In der Baubranche reiben sich die Chefs der großen Firmen schon die Hände, denn das Sondervermögen bedeutet für sie Aufträge ohne Ende. Und ihnen kann es gar nicht schnell genug gehen. Die Arbeitgeberverbände, aber auch die Führungsebene der IG BAU drängen bereits auf eine schnellere und konsequentere Durchsetzung des Sondervermögens und nicht nur leere Investitionsversprechen.
Denn die bürokratischen Strukturen in Deutschland sorgen dafür, dass das Geld nur langsam an die Auftraggeber der Baustellen und danach an die Baufirmen fließt. Um dem Drängen aus der Wirtschaft in alter SPD-Manier nachzukommen, setzt Finanzminister Lars Klingbeil in Zukunft ein Gremium mit Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaft ein: Den sogenannten Investitions- und Innovationsbeirat. Denn Klingbeil hat mit dem Sondervermögen das größte Budget eines Finanzministers in Deutschland jemals und damit dieses in der Umsetzung nicht an Bürokratie, Auftragslage oder Fachkräftemangel scheitert, wird jetzt dieses Gremium installiert.
Schon jetzt ist der Bau von öffentlicher Infrastruktur die lukrativste Sparte für Baufirmen. Öffentliche Auftraggeber wie Deutsche Bahn oder die Länder zahlen gut, die Aufträge sind umfangreich und genug zu tun gibt es allemal. Der große Umfang und die technische Komplexität der Bauvorhaben sowie die schier unendliche Menge an Vorschriften und Normen treiben die Preise in die Höhe. Als Folge dessen reduzieren immer mehr Firmen ihr Engagement im Häuser- und Wohnungsbau deutlich – einige Baufirmen haben bereits ihre kompletten Hochbau-Kolonnen entlassen und konzentrieren sich jetzt auf Tiefbau und Spezialtiefbau sowie Wasser-, Brücken-, Gleis- und Straßenbau.
Und es gibt einiges zu tun: Marode Brücken, der besorgniserregende Zustand deutscher Straßen, aber insbesondere auch ein kaputtgespartes deutsches Schienennetz. Dieses zu sanieren und zu erweitern wird wohl bis 2036 dauern. Hierbei sind natürlich gewisse Bahnkorridore wichtiger als andere. Die Strecke zwischen Hamburg und Berlin hat zum Beispiel, als eine der Hauptverkehrsachsen von West nach Ost, mit die höchste Priorität. Die Aufarbeitung und Modernisierung der Gleise, Weichen, Oberleitungen und Brücken dieses Hochleistungskorridores, wie ihn die Deutsche Bahn beschreibt, benötigt nach aktuellem Stand einen Kostenaufwand von 2,2 Milliarden Euro. Kritische Stimmen sind jedoch der Auffassung, die Bahn würde bei dieser Kalkulation eher großzügig rechnen.
„Vor allem zivile“ Zwecke?
Wenn Stimmen der CDU in der Hamburger Bürgerschaft jetzt von der Sanierung von „Brücken, über die auch Panzer rollen können“ sprechen, stellt sich einem die Frage, ob es bei diesem Sondervermögen überhaupt um die Aufbesserung der „zivilen“ Infrastruktur geht. Oder warum wird ausgerechnet eine Strecke von Westen nach Osten über andere Strecken priorisiert?
Dass die Strecke vor allem für den Krieg eine strategisch wichtige Funktion hat, zeigt sich am Manöver „Red Storm Bravo“, das derzeit in Hamburg stattfindet und das sich in eine Vielzahl vorausgegangener NATO-Übungen in Richtung Ostflanke einreiht. Bei dieser Übung geht es darum, wie man ganz offen auf der Website der Bundeswehr nachlesen kann, ein Szenario nachzustellen, bei dem große Mengen internationaler NATO-Truppen mit all ihrer Ausrüstung, Waffensystemen, Maschinen und Fahrzeugen aus dem Hamburger Hafen schnellstmöglich von den Schiffen entladen, durch die Stadt gebracht und auf Schienen und Straßen an die NATO-Ostflanke befördert werden.
Denn Deutschland und insbesondere Hamburg sollen in Zukunft als Drehkreuz der NATO dienen. Hierbei bringt die zentrale Lage in Europa und der Anschluss über die Elbe zur Nordsee Hamburg in eine strategisch wichtige Position. Jetzt fehlt nur noch die perfekt sanierte und auf die Bedürfnisse der NATO zugeschnittene Ostanbindung, an der die Bahn gerade so fleißig arbeitet und die von dem 500 Milliarden Sondervermögen, für „vor allem zivile“ Infrastruktur finanziert wird.
Wir sehen also: Alle Bereiche der Gesellschaft werden auf den Krieg vorbereitet und eine Sanierung der Infrastruktur gibt es nur dort, wo sie dem Ziel der „Kriegstüchtigkeit“ dient. Am Ende sind es wir, die auf kompletter Länge für die Kriege bezahlen, mit unseren Steuergeldern, aber in letzter Instanz auch mit unserem Leben und dem unserer Kinder. Die Profiteure sitzen oben in den Chefetagen der großen Firmen und freuen sich schon auf gute Geschäfte.
Investitionen in Infrastruktur und unsere Sicherheit sind sehr gut und wichtig, aber welche? Wichtiger wäre es, die Straßen und den öffentlichen Nah- und Fernverkehr auf dem Land und auch in den Städten auszubauen. Oder die Gebäude unserer Schulen, für die derzeit 55 Milliarden Euro fehlen. Ausbildungsstätten und Universitäten modernisieren, den Investitionsstau von 13 Milliarden Euro bei den Kitas beheben oder die Finanzierungslücke in Höhe von zwei Milliarden Euro bei den gesetzlichen Krankenkassen schließen – das sind nützliche und längst überfällige Investitionen für unsere Infrastruktur und Sicherheit. Denn was bedeutet „Sicherheit“ für die arbeitende Bevölkerung? Etwa „Konkurrenzfähigkeit“, „Kriegstüchtigkeit“ oder „neue deutsche Führungsrolle“? Im Gegenteil. Sicherheit bedeutet für uns, wenn wir ein ruhiges, selbstbestimmtes, sorgenfreies Leben ohne finanzielle Zwänge führen können und alle gemeinsam dazu beitragen, den Fortschritt der Gesellschaft voranzutreiben. Nicht, wenn wir für die Profitinteressen von großen Firmen und ihrer Lakaien in wichtigen Regierungspositionen unsere Gesellschaft militarisieren, die Bundeswehr bis an die Zähne bewaffnen und uns darauf vorbereiten lassen, in den Osten zu ziehen.
Denn genau das ist es, was durch das 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur erreicht werden soll. Michael Voigtländer – Immobilienökonom vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft – spricht von der Gefahr, dass zugunsten des Ausbaus von militärisch-nützlicher Infrastruktur „Kapazitäten aus dem Wohnungsbau abgezogen werden“ könnten. Doch längst ist diese Gefahr Realität geworden. Große Baufirmen satteln um. So auch das Immobilienunternehmen Otto Wulff aus Hamburg, dass erst im letzten Jahr 50 Arbeiter aus der Hochbau-Sparte (also vor allem Wohnungsbau) entließ und seinen Schwerpunkt nun in Richtung (Spezial-) Tiefbau verschiebt, gelockt von den Milliardenbeträgen des Infrastruktur-Sondervermögens. Doch Otto Wulff ist kein Einzelfall. In vielen Bauunternehmen findet derzeit eine solche Entwicklung statt – unter Bauarbeitern ein offenes Geheimnis. In der Baubranche ist allen längst klar, worüber in der Öffentlichkeit noch gemutmaßt wird: Das Geld des Infrastruktur-Sondervermögens wird nicht sozialen Wohnraum oder den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs investiert. Es wird bereitgestellt für die Versorgungslinien einer kommenden NATO-Ostfront. Die Verlegung von Kriegsgerät aus dem Herzen Europas oder von der Nordseeküste aus in Richtung Russland. Währenddessen erreicht die Zahl der Sozialwohnung mit gerade einmal 1 Million in ganz Deutschland einen neuen Tiefstand. Dem gegenüber stehen 5,6 Millionen Deutsche, die derzeit Anspruch auf eine Sozialwohnung haben. Diese Kluft wird durch die Politik der Bundesregierung weiter vertieft. Firmen satteln um, denn sie jagen dem Geld nach. Und das steckt die Bundesregierung derzeit in Kriegsvorbereitungen und nicht in die Grundversorgung der Bevölkerung.
Um diesem Kurs der Kriegsvorbereitungen entgegenzutreten, ist es nötig, die politischen Entscheidungen wie beispielsweise das Infrastruktur-Sondervermögen kritisch zu diskutieren und die tatsächlichen Hintergründe dieser Politik zu beleuchten. Insbesondere in den Bereichen, in denen die Auswirkungen dieser politischen Maßnahmen für die Arbeiterinnen und Arbeiter spürbar werden.
Während das Infrastruktur-Sondervermögen nicht nur in den Chefetagen der großen Bauunternehmen für Euphorie sorgt, sondern auch viele Kolleginnen und Kollegen Hoffnungen auf nachhaltig sichere Arbeitsplätze aus den bereitgestellten 500 Milliarden Euro schöpfen, vermehren sich gleichzeitig die Diskussionen an der BAU-Basis rund um die Friedensfrage und den Kriegskurs der Regierung. Mancherorts werden Arbeitskreise zum Thema „Frieden“ durch Kolleginnen und Kollegen wiederbelebt, in vielen lokalen Gremien finden rege Diskussionen dazu statt, was die Möglichkeit einer breiteren Überschneidung zwischen Gewerkschafts- und Friedensbewegung greifbarer werden lässt. Diese Impulse gilt es in Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen in Betrieb und Gewerkschaft zu stärken und zu vermehren. Nur so lässt sich dem Kriegskurs der Regierung etwas entgegensetzen.




