Im Nahen Osten ist ein neuer Stellvertreterkrieg ausgebrochen. So genannte „Rebellen“, die von der islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Sham, kurz HTS, angeführt werden, haben zuerst die Millionenstadt Aleppo erobert, kurz darauf die Großstädte Hama und Homs und schließlich die Hauptstadt Damaskus. Laut tagesschau.de vom 02.12. hat das NATO-Land Türkei den Dschihadisten „grünes Licht gegeben“ … und vermutlich versorgt sie sie auch mit Waffen und Munition – wie die Leopard 2-Panzer aus Deutschland, die die Türkei auch schon gegen die Kurden einsetzte. Der Vormarsch der Dschihadisten war wirklich atemberaubend.
Interessant ist hier wieder einmal die Einseitigkeit der offiziellen Berichterstattung. Während üblicherweise von „Islamisten“ und „islamistischem Terror“ die Rede ist, wenn es sich um Taliban, Al Kaida oder IS handelt, werden hier viel positivere Töne angeschlagen. Jetzt heißen sie „Rebellen“, obwohl der HTS vor einiger Zeit noch Teil der Terrortruppe Al Kaida war. Sie werden als Befreier vom Regime Bashir Assads gefeiert. Wir treten auch nicht für dieses Regime ein, in dem die Menschen unterdrückt und terrorisiert wurden. Aber mit den „Gotteskriegern“ kehren gewiss nicht demokratische Verhältnisse ein. Dass ausgerechnet Scholz und Baerbock, die in Deutschland und Europa über islamistischen Terror schwadronieren, die HTS und andere islamistische Gruppen in Syrien als Befreier bejubeln, ist schon merkwürdig.
Das „grüne Licht“, das Erdogan den wahrscheinlich zukünftigen Machthabern Syriens gegeben hat, lässt erahnen, dass die ganze Aktion die Billigung der USA und der NATO genießt, es sich bei der “Befreiung“ Syriens um einen vom Westen zumindest mit-gesteuerten „regime change“ handelt. Die Ereignisse in Syrien sind Teil des internationalen Konkurrenzkampfes der großen imperialistischen Länder. Die Bedürfnisse der Völker und der Arbeiterklasse spielen dabei keine Rolle.
So etwas ist keine wirkliche Befreiung der Bevölkerung Syriens. Dass die „Rebellen“ nicht bei allen Syrern willkommen sind, zeigte sich vor der Einnahme von Homs, wo Zigtausende, die der Glaubensgemeinschaft der Alawiten angehören, Richtung Küste geflohen sind. Eine Befreiung ist es auch nicht, weil sowohl die USA einen Militärstützpunkt und Russland zwei Militärstützpunkte unterhalten. Syrien ist aufgeteilt in verschiedene Interessenzonen und dadurch ebenso nicht frei.
Momentan geben sich die neuen Herren noch moderat, haben sogar Vereinbarungen mit Teilen des Assad-Regimes geschlossen. Wie es weiter geht, werden wir bald sehen. Bewaffnete Kämpfe halten auf jeden Fall an, wie die Medien berichten. US-Flugzeuge bombardieren Stellungen des IS und Israel fliegt massive Angriffe auf die militärische Infrastruktur Syriens – Israelische Regierungsvertreter behaupten, es ginge um den „Schutz der eigenen Bevölkerung“!
Im Zusammenhang mit den Nachrichten über den Machtwechsel kommen bei den bürgerlichen Politikern, vor allem solchen von CDU/CSU, Forderungen nach Abschiebung aus Syrien Geflüchteter auf. Knapp eine Million davon halten sich in Deutschland auf. Als ob alle diese Menschen nur vor dem Diktator Assad geflüchtet wären und nicht auch vor den kriegerischen Verheerungen, an denen ja auch der Wertewesten – im Übrigen aber auch Russland – nicht ganz unbeteiligt war.
Internationale Stimmen zum Sturz von Assad:
Stellungnahme, übersetzt von der Homepage der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs (PCOF):
„Es dauerte keine zehn Tage, bis die syrischen „Rebellen“-Kräfte in Damaskus einmarschierten, nachdem sie die wichtigsten Provinzen und Städte des Landes besetzt hatten, wobei sich die syrische Armee im Zuge ihres Vormarsches zurückzog. Angesichts der Stampede seiner Armee zog es der syrische Diktator vor, ins Ausland zu fliehen, anstatt sich dem Zorn seines Volkes zu stellen. Es ist kein Zufall, dass die Offensive, die von einer bunten Mischung aus radikalen islamistischen Kräften (allen voran Hayat Tahrir al-Scham (HTS), dem ehemaligen syrischen Zweig von Al-Qaida), kurdischen Kräften und verschiedenen Fraktionen, die sich gegen das syrische Regime stellen, angeführt wurde, am selben Tag begann, an dem im Libanon ein Waffenstillstand vereinbart wurde. Diese Kräfte werden seit Jahren vom US-Imperialismus im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus bewaffnet, ausgebildet und finanziert, wobei Syrien von Israel, den USA und der EU beschuldigt wird, Waffen aus dem Iran für die Hisbollah zuzulassen und ihr als Rückzugsort zu dienen.
Das reaktionäre und autokratische Regime von Baschar al-Assad und zuvor schon von seinem Vater hat immer wieder syrische Kommunisten, Progressive und Antiimperialisten angegriffen. Und das syrische Regime wäre ohne die militärische und wirtschaftliche Unterstützung Russlands und des Irans längst gestürzt. Doch diese Offensive der dschihadistischen Gruppen zielt nicht auf die Befreiung des syrischen Volkes ab. Diese haben lediglich von der Situation in der Region profitiert und beteiligen sich objektiv an Israels Krieg gegen die Hisbollah und den Iran.
Auch wenn die überwältigende Mehrheit des syrischen Volkes den Sturz des verhassten Assad-Regimes feiert, muss es weiter dafür kämpfen, dass seine Bestrebungen nach Freiheit, Demokratie und sozialer Emanzipation Wirklichkeit werden.“
Stellungnahme der Partei der Arbeit (EMEP), Türkei:
„Der Bürgerkrieg in Syrien ist in eine neue Phase getreten. Bewaffnete dschihadistische Kräfte, angeführt von der Hayat Tahrir al-Sham (HTS, Komitee zur Befreiung der Levante), sind in die syrische Hauptstadt Damaskus eingedrungen. Baschar al-Assad floh. Die syrische Armee kapitulierte.
Die pro-AKP-Medien begrüßen diese Entwicklungen. Sie sagen, der Diktator sei gestürzt worden und die Demokratie habe gesiegt. Hat die Demokratie wirklich gesiegt? Hat HTS die Demokratie nach Syrien gebracht? Das Assad-Regime war natürlich kein demokratisches Regime, aber das HTS-Regime wird auch kein demokratisches Regime sein. Bis heute hat es kein islamistisches demokratisches Regime auf der Erde gegeben. Es ist auch nicht möglich, dass es jetzt eines geben wird.
Der Einzug der HTS in Damaskus bedeutet nicht, dass sie ganz Syrien beherrschen wird. Im Nordosten kontrolliert die SDF/PYD 40 Prozent des Landes, und im Nordwesten gibt es bewaffnete Kräfte, die von der Türkei als Syrische Nationale Armee (SNA) bezeichnet werden. Von nun an wird der politische und bewaffnete Kampf zwischen diesen Kräften weitergehen. Natürlich wird in der neuen Periode eine neue Migrationswelle einsetzen. Pro-Assad-Gruppen und arabische Alawiten werden vor dem HTS-Regime fliehen.
Die schwierigen Zeiten Russlands in seinem Krieg mit der Ukraine und die Schwächung der Hisbollah und des Irans in ihrem Kampf mit Israel waren für das HTS-Regime ein günstiger Zeitpunkt, um aktiv zu werden. In der gegenwärtigen Situation haben die USA, Israel und ihre Verbündeten in Syrien zusammen mit HTS gewonnen. Das nächste Ziel der USA, Israels und ihrer Verbündeten wird wahrscheinlich der Iran sein.
Unter dem Motto, die aktuelle Situation als Chance zu nutzen, fordern einige Kreise in unserem Land, dass die Türkei die kurdischen Gebiete mit der SNA angreift und sich in diese Gebiete ausbreitet. Eine solche Politik bedeutet, dass auch die Türkei in den Krieg hineingezogen wird. Die Türkei muss ihre Streitkräfte aus Syrien abziehen, das freie Selbstbestimmungsrecht des syrischen Volkes verteidigen und brüderliche Beziehungen zum syrischen Volk entwickeln.
Die imperialistischen Mächte und ihre Kollaborateure haben den Nahen Osten seit Jahren in den Sumpf von Krieg, Flucht und Armut gestürzt. Die Völker des Nahen Ostens müssen sich zusammenschließen und gegen die imperialistischen Mächte kämpfen, anstatt sich gegenseitig und untereinander zu bekämpfen.
Die Imperialisten und die ausländischen Truppen, einschließlich der Türkei, müssen sich sofort aus Syrien zurückziehen.
Das syrische Volk, das aus verschiedenen nationalen Identitäten und Glaubensrichtungen besteht, muss sein eigenes Schicksal bestimmen.
Die Gegenwart und Zukunft Syriens kann nur durch eine antiimperialistische, friedliche und demokratische Volkssouveränität garantiert werden.
Jede andere Initiative bedeutet die Fortsetzung des Bürgerkriegs.
Unter den Bedingungen, unter denen der Nahe Osten und die Region immer mehr in den Sumpf des Krieges hineingezogen werden, ist es die Pflicht aller Kräfte der Arbeit und der Demokratie, sich stärker zusammenzuschließen und den Kampf zu vereinen.
Seyit Aslan
Vorsitzender der Partei der Arbeit (EMEP), Türkei“