Insgesamt 30 bis 50 tausend Personen waren an den Protesten und Kundgebungen gegen die Gründung der Jugendorganisation in und um Gießen herum in Aktion. Ob auf Autobahnen unter nasskalten Knüppelschlägen unter Wasserwerfereinsatz leidend, oder in der Gießener Innenstadt mit popmusikalischer Untermalung von Juli und weiteren Künstlern gestaltete sich der Tagesablauf als Spiegelbild der verschiedenen Spielarten des Widerstands gegen die AfD.
Nachdem die Weststadt am Tag vor der Kundgebung nach gerichtlicher Bestätigung einem Betretungsverbot zwecks Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung unterzogen wurde, verlagerten sich die Proteste in verschiede Bereiche. Während die Blockaden an den Zufahrtswegen zumeist durch die fortschrittliche, antifaschistische Jugendbewegung geprägt waren, zeichnete sich in der Stadt ein Bild der verschiedenen Arten des bürgerlichen Antifaschismus ab. An der DGB-Bühne an d
er größten Kundgebung mit 20 tausend Teilnehmern, gab es einen stetigen Wandel und ein Ringen um die Positionen von Redner zu Redner. Von Skandieren des Europalieds, das auf eine Ansprache zur Überwindung des Nationalismus folgte, bis zu humanistischen Positionen konnte fast jeder zu Wort kommen. Auch fortschrittliche Akteure kamen zum Wort und fanden zumeist bei den Jugendlichen Zuhörern zu Zustimmung, wenn sie auf den Nährboden des Rechtsrucks, den Sozialabbau und die Aufrüstung hinwiesen.
In der einen halben Kilometer weiter östlich befindlichen Gießener Innenstadt fand am Nachmittag das sogenannte Demokratiefest statt – ein passendes Milieu für die Grüne Partei, welche hier „networken“ konnte. Fern blieb allerdings die CDU, da scheint aktuell die Konkurrenz mit der AfD darum, wer in Zukunft das Sprachrohr der deutschen Großkapitalisten sein darf, wesentlich entscheidender zu sein. Hier wurde auch klar ersichtlich, dass das Motto „alle zusammen gegen den Faschismus“ auch für die verschiedenen Parteien ein nützliches Instrument sein kann. Wenn die etablierten Altparteien die AfD als faschistisch charakterisieren, dann nicht wegen inhaltlicher Differenzen, die in den letzten zehn Jahren massiv zusammengeschrumpft sind, sondern um ihre Rolle als die wahren Verfechter dieser wehrhaften Demokratie zu etablieren.
Der Kampf der zahlreichen Jugendlichen jedoch, die an den Blockaden der Zufahrtswege und den Kundgebungen in der Stadt beteiligt waren, ist ein Ausdruck der zunehmenden Politisierung der Jugend in einer Zeit der sich immer weiter zuspitzenden Krisen des Systems, in dem wir leben. Die Berichterstattung in der Presse, die die Protestierenden als Gewaltverursacher darstellt und sie als Verfassungsfeinde denunziert wird diesen Prozess weiter beschleunigen. Ebenfalls wird sie als weitere Rechtfertigung genutzt werden, um die innere Aufrüstung voranzutreiben.




