„Wenn Kunst bloß schön aussieht, reduziert sie sich auf Dekoration“

Interview mit Künstler Le.Mob vom Roten Atelier über die Ausstellung "Wir sehen rot" und Kunst im Klassenkampf.

Vom 15. August bis 15. September 2025 hat das Rote Atelier in der maigalerie der jungen welt die Ausstellung „Wir sehen rot – Internationale Kämpfe im deutschen Kontext“ ausgerichtet. Die Ausstellung sollte Fragen aufwerfen: Was bedeuten internationale Kämpfe für Sozialist:innen in Deutschland? Was verbindet verschiedene Kämpfe? Wie kann Solidarität geübt werden? Zentral war auch, welche Rolle Kunst und widerständige Ästhetik dabei einnehmen. Eine wichtige Rolle spielte für die Veranstalter auch der kollektive Charakter der Kunstschaffenden bzw. Gestalter.

Dabei soll zum einen gezeigt werden, was aktuell möglich ist, aber auch, was noch entstehen muss. Wir haben mit einem der Künstler und Veranstalter, Le.Mob, im Interview über die Ausstellung und das Kollektiv gesprochen. Ein Bericht.

Was bedeutet für euch als Veranstalter das Motto der Ausstellung „Wir sehen rot“? Worin seht ihr aktuell den Bedarf für Anlässe und Kultur wie diese?

„Wir sehen Rot“ – dieser Titel beschreibt nicht nur unsere aktuelle Lage, sondern auch unsere Antwort darauf. Wir sehen Rot, weil wir wütend sind. Wir sehen Rot vor Trauer und Entsetzen angesichts dessen, was in der Welt geschieht: angesichts des anhaltenden Genozids in Gaza, angesichts des erstarkenden Faschismus, der nicht nur in Amerika, sondern auch hier in Europa immer offener seine Fratze zeigt.
Doch „Wir sehen Rot“ bedeutet auch Widerstand und Hoffnung. Denn Rot ist nicht nur die Farbe des Zorns, sondern auch die Farbe der Solidarität, die Farbe des Kommunismus, die Farbe der Arbeiterbewegung. Es gibt einen spürbaren Bedarf an revolutionärer und sozialkritischer Kunst. Wenn Kunst sich darauf beschränkt, bloß schön auszusehen, reduziert sie sich auf Dekoration und verfehlt damit ihr eigentliches Potenzial. Kunst muss mehr sein: ein Werkzeug der Kritik, ein Mittel der Aufklärung, ein Anstoß zur Veränderung. Dass dieser Bedarf existiert, zeigte sich auch an unserer Ausstellung. Allein der enorme Andrang zur Eröffnung, die gefüllten Räume und die intensive Auseinandersetzung der Besucherinnen und Besucher mit den Werken haben deutlich gemacht, dass es ein echtes Interesse an Kunst gibt, die nicht schweigt, sondern Stellung bezieht.

Stellung wurde in der Ausstellung definitiv bezogen. Die Werke reichen von Fotografie von Protesten und Aufständen in der Westsahara und Portrait-Zeichnungen der Protagnisten der internationalen Arbeiterbewegung, wie Rosa Luxemburg oder Angela Davis, über Malerei, die Altersarmut aufgreift, hin zu Plakat-Designs, die auch graphisch zum Kampf gegen Imperialismus und Besatzung aufrufen. Kein Werk verhält sich unparteiisch zum Klassenkampf.

Dieses Wochenende ist das letzte Wochenende der Ausstellung. Kannst du für uns einmal zusammenfassen: Was war die Reaktion auf die Ausstellung und das Programm, was ihr auf die Beine gestellt habt? Hattet ihr diese erwartet?

Uns hat es überwältigt, wie viele Menschen aus ganz Deutschland gekommen sind, um diese Ausstellung zu sehen und am Eröffnungswochenende teilzuhaben. Während der Redebeiträge und Podiumsdiskussionen herrschte eine Stille im Raum, die fast greifbar war. Gleichzeitig war draußen ein lebendiger Austausch zu spüren: Menschen standen mit einer Limo in der Hand zusammen, diskutierten und begeisterten sich an der Kunst.
Für mich war das ein starker Kontrast zu vielen Ausstellungen, die ich zuvor organisiert habe und die oft nur wenige Besucherinnen und Besucher anzogen. Hier aber war es anders: Man konnte förmlich ein revolutionäres Momentum spüren. Diese Energie, dieses Interesse und diese Begeisterung haben mir persönlich sehr viel Kraft und Zuversicht gegeben.

Am Eröffnungswochenende bot die Ausstellung viel Raum zum Austausch und Zusammenkommen. Nach einer Eröffnungsrede am Freitag folgte ein Vortrag von Cartoonists for Palestine und am Samstag ein Podium zur Rolle Kulturschaffender in internationalen Kämpfen mit Gestalterinnen Lina und Le.Mob vom Roten Atelier und Olivier David, Vertreter des Theaterkollektivs Staub zu Glitzer. Kreative Beiträge gab es durch eine Lesung von Sanaz Azimipour zu „Literary interventions from revolutionary movements“ sowie Lyrik und Gedichte von kim-chi und „Entrüstet euch – Texts Against War“ vom Kollektiv Papyrus3000. Mit Konzerten von L’ile Kemmogne, Nia2161 und Rabbibti Atable und Gesang vom Kulturkollektiv Industriepoesie und einem gemeinsamen Arbeiterliedersingen als Abschluss des Wochenendes am Sonntag.

Im Aufruf zur Ausstellung heißt es „Kunst ist eine Form, die Welt zu erkennen und wiederzugeben. Damit ist sie immer auch Ausdruck der herrschenden Verhältnisse – aber zugleich ein Mittel, auf diese einzuwirken.“ Was würdest du sagen ist das Kunstverständnis von euch als Kollektiv und inwiefern unterscheidet es sich vom vorherrschenden Kunstverständnis?

Die Frage nach dem Kunstverständnis ist ein Thema, über das wir oft diskutieren. Denn jeder bringt da seine eigene Perspektive mit. Es gibt dieses eher „hippiemäßige“ Verständnis, nach dem alles Kunst ist, jedes menschliche Schaffen, jeder Ausdruck. Und dann gibt es die Haltung, wie sie auch Brecht formuliert hat: dass Kunst immer sozialkritisch sein muss, dass sie die herrschenden Verhältnisse in Frage stellt. Laut ihm soll die Kunst seinen Betrachter erziehen und zu einem besseren Menschen formen.
Für uns als Kollektiv ist das besonders spannend, weil wir keine reine Künstlerinnengruppe sind. Viele von uns arbeiten in Bereichen, die man nicht klassisch als Kunst versteht: als Illustratorinnen, Grafikerinnen oder Designerinnen. Gerade hier wird der Unterschied zwischen Kunst und Design deutlich. Kunst wirft Fragen auf, sie zwingt dazu, etwas zu hinterfragen, während Design meist Antworten liefert: Es vermittelt Wissen, ergänzt Informationen, macht Inhalte zugänglich.
Als rotes Kunstkollektiv bewegen wir uns genau zwischen diesen Polen. Wir gestalten Plakate, Flyer und Materialien für Demos, also Dinge, die informieren und mobilisieren sollen. Gleichzeitig schaffen wir Kunst, die nicht nur dekorativ ist, sondern fordert, irritiert und Fragen stellt und dabei immer auch sozialistische Gedanken vermittelt. Unser Anspruch ist es, beides zusammenzuführen: Kunst, die fordert, und Gestaltung, die vermittelt.

Diesen Eingriff in den Klassenkampf sieht man in der ganzen Ausstellung. Ob durch einen Dokumentarfilm über die 6. Konferenz Gewerkschaftlicher Erneuerung oder Plakate, die zu Friedensfesten und Protesten am 1. Mai aufrufen.

Gleichzeitig wird die Kunst als Einstieg in eine Auseinandersetzung mit den herrschenden kapitalistischen Widersprüchen genutzt. Wo in bürgerlichen Galerien neben den Werken ein Name, die Maße und der Preis stehen nutzen die Künstler des Roten Ateliers Tafeln neben den Werken, um über ihre Hintergründe aufzuklären und sie einzuordnen. So nutzt Sophie Linde ihre „zwei Bilder ohne Titel“, auf denen in zwei Szenen Mädchen neben den Leichen toter Frauen knien, um über den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg aufzuklären.

Auf einem Plakat-Design des Künstlers IMNX_one sind Friedrich Merz, Robert Habeck und Olaf Scholz mit durch schwarze Balken zensierte Augen neben dem Spruch „They got money for wars but can’t feed the poor – Auf die Straßen gegen ihren Krieg“ abgebildet. Das „can’t“ in dem Tupac-Zitat ist scheinbar handschriftlich durchgestrichen und durch „won’t“ ersetzt. In der zugehörigen Tafel wird über das Kippen der Schuldenbremse für die Aufrüstung und das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur und Militarisierung informiert. IMNX_one versteht sich als Gestalter und nimmt Aufträge für linke Gruppen und Bewegungen entgegen, um Agitations-und Propagandamaterial zu gestalten.

Nach einer so erfolgreichen Ausstellung, die das Rote Atelier bestimmt bestärkt hat, stellt sich nun die Frage, was danach die Perspektive ist. Gibt es schon nächste Projekte, Anlässe oder Pläne für die Arbeit der roten Künstler und Gestalter?

Perspektivisch geht unsere Arbeit selbstverständlich wie gewohnt weiter: Wir kümmern uns um Design, beraten in Gestaltungsfragen und integrieren neue Mitglieder. Gleichzeitig ist auch bereits ein neues Kunstprojekt in Planung, über das wir uns intensiv austauschen und konkrete Schritte vorbereiten. Details darf ich leider noch nicht verraten. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, wie sich alles herauskristallisiert. Sobald es soweit ist, veröffentlichen wir die Neuigkeiten auf unserer Website und auf Instagram.

Das Rote Atelier ist auf seiner Homepage rotesatelier.de und auf Instagram @rotesatelier zu finden. Le.Mob ist auf Instagram unter @le.mob zu finden. Vielen Dank für das Interview!