Wie können wir den Krieg noch aufhalten?

Am 20. September fand die Zweite Hamburger Friedenskonferenz statt. Mit über 200 Teilnehmenden wurde über die aktuelle Weltlage, die Aufrüstung und die Perspektive der Friedensbewegung diskutiert. Eine Dokumentation.

Die Unterstützung der deutschen Regierung am andauernden Genozid durch die israelische Besatzung in Gaza und dem immer weiter eskalierenden Krieg in der Ukraine und die größte Aufrüstung seit dem Zweiten Weltkrieg zeigen, wie dringend es eine starke Friedensbewegung in Deutschland braucht. Am 20. September fand die Zweite Hamburger Friedenskonferenz unter der Frage „Was sind die Ursachen für Krieg und Aufrüstung? Auswirkungen auf unser alltägliches Leben und was wir dagegen tun können“ der DIDF Hamburg statt. Bereits im letzten Jahr kamen über 200 Teilnehmende unter dem Motto „Gegen Krieg und Aufrüstung“ zusammen.

Mit der Dringlichkeit der Diskussion dieser Fragen steigen auch die Angriffe und Diffamierungen. So veröffentlichte die „Jungle World“ vor der Konferenz einen Artikel, in dem sie zu Gegenprotesten aufriefen und palästina-solidarische Kräfte als Hamas-, und Mullah-Unterstützer diffamiert wurden. Ebenfalls zog die Rosa-Luxemburg-Stiftung ihre Unterstützung zurück. Die Veranstalter benannten dieses Vorspiel als das, was es ist: eine Schwächung der Friedensbewegung und in letzter Konsequenz eine Legitimierung der herrschenden Politik! Umso wichtiger war es, mit Beiträgen aus der Wissenschaft, den Parlamenten und Betrieben und in verschiedenen Workshops mit über 200 Teilnehmenden zu diskutieren.

Zeitenwende in der Schule, Uni und Betrieb

„In diesen Tagen führen die Großmächte in verschiedenen Teilen der Welt, zuallererst in der Ukraine und im Nahen Osten, direkte oder Stellvertreterkriege um die geopolitische Neuordnung der Welt.“ Mit diesen Worten eröffnete Deniz Celik aus dem Vorstand von DIDF Hamburg die Konferenz. Er benannte, wie die „Zeitenwende“ genutzt wird, um die fortschreitende Einschränkung demokratischer Rechte, die Militarisierung nach innen und außen und die steigende Repression voranzutreiben. Zudem betonte er, dass der Kampf um den Frieden immer dringlicher werde und die Konferenz darauf abziele, die aktuellen Entwicklungen zu analysieren und gemeinsam der Frage nach dem Kampf für den Frieden nachzugehen.

Nach den einleitenden Worten kamen die Teilnehmenden in unterschiedlichen Workshops zusammen. So wurde gemeinsam mit Kay Jäger, MdHB und Hafenarbeiter, über die Frage „Hamburger Hafen als Drehkreuz für den Krieg?“ diskutiert. Gemeinsam mit dem AStA der Universität Hamburg und dem Internationalen Jugendverband diskutierten die Studierenden über die Militarisierung der Hochschulen sowie den verstärkten Angriffen auf die Zivilklauseln. Ebenfalls wurde sich unter den Schülern über die Frage nach der Bundeswehr im Klassenzimmer und dem gemeinsamen Widerstand gegen den neuen Wehrdienst ausgetauscht. In einem vierten Workshop wurde die Militarisierung in Betrieb und Arbeitsleben thematisiert. Das konkrete Aufgreifen der aktuellen Entwicklungen in Schule, Uni, Betrieb und unseren Städten führte nicht nur zu einem ertragreichen Austausch, sondern schafft die Grundlage für unseren Widerstand!

Es braucht mehr Friedenswissenschaft!

„Die Anzeichen der globalen Krise sind überdeutlich, habe ich vor 30 Jahren geschrieben“ – mit diesen Worten richtete sich Prof. Dr. Jürgen Scheffran von der Universität Hamburg einleitend an die Teilnehmenden der Konferenz. Wie aktuell diese Feststellung nach wie vor sind, zeigen die Zahlen. So verzeichnen wir derzeit Höchstwerte an Gewaltkonflikten und Rüstungsausgaben, weshalb Scheffran die Frage aufwarf, ob der Fehler etwa im System liege. Weiterhin kritisierte er die deutsche Bundesregierung, die eine führende Rolle einnehmen wolle und deshalb das Militärbudget innerhalb von wenigen Jahren verdoppelt habe, was gleichzeitig zu Einsparungen in anderen Bereichen führt. Dies würde die Menschen in die Hände der Rechtsradikalen treiben.  Auf die internationalen Entwicklungen bezogen stellte er zudem infrage, was die USA mit ihrer Einmischung in unzähligen Kriegen für den Weltfrieden getan habe. Auch kritisierte er die israelische Regierung, die nach dem 7. Oktober jeden ihrer Nachbarn angegriffen habe und einen Völkermord in Gaza begehe. „Jedes Kind weiß, dann man einen Brand nicht mit Benzin löscht“ stellte Scheffran fest, und verwies darauf, dass Kriege begonnen würden, um den eigenen Schaden zu begrenzen. Im Laufe seines Beitrags zitierte er Albert Einstein, der im Sommer 1914 einen Aufruf an die Europäer richtete, nach dem es keine Sieger, nur Besiegte im Krieg geben würde. Die Gefahr eines Welt- und Atomkrieges sei heute größer denn je. So würde die zivile Orientierung immer weiter zurückgedrängt werden und unter dem Vorwand des „Dual Use“ die akademische Freiheit unter Druck geraten. In diesem Zuge seien auch die Zivilklauseln an den Universitäten unter Beschuss. Zum Abschluss seines Beitrages appellierte Scheffran daran, dass es mehr kritische Friedenswissenschaft und Politik und eine wirkliche Zeitenwende für Abrüstung und Frieden brauche und rief die Teilnehmenden auf, sich den kommenden Friedensprotesten anzuschließen.

Entlarvt der Sozialabbau die Herrschenden?

Im folgenden Beitrag vom Autoren Ingar Solty wurden einige Thesen zur aktuellen Situation aufgestellt. So habe die derzeitige Aufrüstung nichts mit der russischen Bedrohung zu tun, sondern sei pro-aktiv und offensiv. Gleichzeitig sprach Solty von einem Elitenkonsens, der imperialistischen Eigeninteressen folgen würde und nannte die EU neben dem Imperium der USA einen sub-imperialen Akteur. Dies griff die EU-Abgeordnete Özlem Alev Demirel auf den später stattfindenden Podium auf und betonte, dass die EU kein Sub-Imperialist sei und der Westen durchaus in eigenen Widersprüchlichkeiten agieren würde. In Bezug auf das Verhältnis der Aufrüstung in Deutschland beschrieb Solty, dass es historisch zu einem „Eliten-Massen-Bruch“ gekommen sei, derzeit die Aufrüstung aber eine hohe Zustimmung der Bevölkerung erfahre. Gleichzeitig betonte er, dass die für die Aufrüstung aufgenommenen Schulden mit Zinsen aus dem laufenden Haushalt beglichen werden müssten und stellte fest: „Man kann Panzer kaufen, aber nicht in Panzern wohnen“. Die Bedingungen, so schloss er ab, seien für die Sozialisten vorteilhaft, um den Bruch zwischen den Herrschenden und der Arbeiterklasse wiederherzustellen, da die soziale Frage die derzeitige Politik früher oder später entlarven würde.

Solidarität mit der „Sumud Flotilla“

Im Anschluss sollte eigentlich ein Beitrag der palästina-solidarischen Aktivistin Yasemin Acar stattfinden, die derzeit auf der „Freedom Flotilla“ unterwegs ist, weshalb sie nicht nach Hamburg kommen konnte. Die „Sumud Flotilla“ ist derzeit mit 60 Booten und 1.000 Teilnehmenden aus 44 Nationen unterwegs. Die Teilnehmenden der Konferenz nahmen ein Solidaritäsvideo mit der Forderung nach dem Stopp der Waffenlieferungen nach Israel und einem Ende des Völkermordes in Gaza auf.

Was sind die Ursachen für Krieg und Aufrüstung?

Auf dem anschließenden Podium diskutierten Özlem Alev Demirel, Abgeordnete für DIE LINKE im EU-Parlament, Iskender Bayhan, Abgeordneter der Partei der Arbeit (EMEP) in der Türkei, Kay Jaeger, Hafenarbeiter und MdHB und Hanna Lubcke von der Plattform theorieundpraxis.org. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage nach den Ursachen für Krieg und Aufrüstung. die Auswirkungen in unserem Alltag und schließlich die Frage danach, was wir dagegen tun können.

Es wird Politik mit Waffen gemacht

„Krieg ist der Name von Politik, der mit Waffen geführt wird“ stellte Iskender Bayhan zu Beginn fest und ging auf verschiedene Erscheinungen ein, die aktuell in Zusammenhang gebracht werden müssten. So wurde 2021 unter Joe Biden ein offizielles Papier veröffentlicht, in dem die USA China als ihren größten Feind und als zweiten Hauptfeind Russland benannten. Diese nationale Sicherheitsstrategie werde nun von Donald Trump weitergeführt. Weiterhin hat sich die NATO in jüngster Vergangenheit auf das 5%-Ziel geeinigt und die Türkei wird den nächsten NATO-Gipfel vorbereiten. Diese Strategie habe vor allem die USA in die NATO getragen. Insgesamt würden in der aktuellen Zeit jegliche Bündnisse die Strategie verfolgen, die nationale und ökonomische Sicherheit zusammenzubringen. Wie offen die Kriegsbestrebungen sind, zeigen die Pläne verschiedenen Länder, wie bspw. die Bestrebungen einer „Groß-Türkei“. In Bezug auf die Rolle der Türkei stellte Bayhan das Ziel der Herrschenden heraus, eine führende Kraft zu werden und ein möglichst breites Bündnis in der Region anzustreben. So sei das Ziel offen, nicht den Frieden zu sichern, sondern den Krieg zu rechtfertigen. Bayhan benannte, dass beinahe ein Sechstel der Weltbevölkerung unter der Bedrohung von Krieg lebe und betonte, dass dies nichts ist, was gerechtfertigt werden könnte. Diese Kriege seien aber keine voneinander isolierten, sondern die Gefahr eines 3. Weltkrieges zeichne sich immer mehr ab. Doch zeigte er auf, dass es historisch bewiesen sei, dass nur die Arbeiterklasse dieser Kriegsgefahr etwas entgegnen könne. „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ sei heute nach wie vor aktuell und genau das müssten wir heute umsetzen, um unsere Zukunft zu retten. Als Arbeiterklasse dürften wir nicht das Schicksal in die Hände der Herrschenden unserer Länder legen, sondern müssten Mut schöpfen aus unserem Kampf als Arbeiterklasse.

Deutschlands Imperialismus unter dem Deckmantel der EU

In Bezug auf den deutschen Imperialismus eröffnete Özlem Alev Demirel damit, dass im Gegensatz zu einer „Groß-Türkei“ nicht von einem „Groß-Deutschland“ gesprochen werden würde, sondern sich der deutsche Imperialismus über die EU ausdrücke, was mit der Geschichte Deutschlands zu tun habe. Dies drücke sich auch aus in der massiven Militarisierung der EU. Darüber hinaus machte Demirel deutlich, dass der Ukraine-Krieg eine Situation geschaffen hätte, in der nicht mehr über die Kontexte von Kriegen diskutiert werden durfte, was sich ebenfalls seit dem 7. Oktober zeigt. Es würde auf einer moralischen Ebene verharrt werden, womit das Leid der Menschen missbraucht und die eigenen geopolitischen Interessen vertuscht würden. Deutschland, so Demirel, hätte immer die eigenen Werte und das Völkerrecht vorgeschoben, doch die bedingungslose Solidarität mit Israel hätte dies enttarnt. Während die EU nun über das 19. Sanktionspaket für Russland diskutiert, werde das Assoziierungsabkommen mit Israel nicht angetastet. Nur durch Druck aus der europäischen Bevölkerung sei es dazu gekommen, dass israelische Rüstungsunternehmen keine europäischen Fördergelder mehr bekämen. So nahm sie noch einmal Bezug auf die deutsche Geschichte und betonte den Erfahrungsschatz und die Geschichte der Klassenkämpfe, aus der wir heute lernen und so unsere Zukunft besser gestalten könnten. Denn, so schloss Demirel, vielleicht müssten wir in ein oder zwei Jahren laut sagen: Sozialismus oder Barbarei!

„Es ist derselbe Feind, gegen den wir unser Brot verteidigen müssen, als auch unsere Zukunft!“

Hanna Lubcke stellte anschließend die Frage, ob wir uns vor ein paar Jahren die heute in Eiltempo stattfindenden Entwicklungen hätten vorstellen können und betonte, dass die Zeitenwende in Deutschland nicht plötzlich gekommen sei, sondern im vorher beschriebenen internationalen Kontext betrachtet werden müsse. Vom ersten Sondervermögen nach Beginn des Ukraine-Kriegs, über die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen zu immer heftigeren Manövern wie „Red Storm Bravo“ Ende September in Hamburg. Stück für Stück werde versucht, die Militarisierung der deutschen Bevölkerung schmackhaft zu machen, und mit Schlagworten wie „Verteidigung“ und „Staatsräson“ gerechtfertigt. So stellte Lubcke heraus, dass der angebliche Verteidigungszweck der Aufrüstung eine Lüge sei und sich selbst enttarne, wenn unsere führenden Politiker von einer „Führungsrolle“ in Europa sprechen. Gerade wegen der deutschen Vergangenheit müssten wir als Bewegung Widerstand leisten und nicht zu lassen, dass zum 3. Mal Krieg von deutschem Boden ausginge. Auch wenn die internationale Lage aussichtlos wirken würde, betonte Hanna Lubcke wie Iskender Bayhan, dass wir die Kraft und Stärke in uns selbst suchen müssten. Es sei sogar unser Vorteil, wenn wir gegen diejenigen auf die Straße gehen, die uns kriegstüchtig machen wollen, weil es dieselben sind, die uns durch ihren Sozialabbau sowieso schon auf die Straße zwingen: “ Es ist derselbe Feind, gegen den wir unser Brot verteidigen müssen, als auch unsere Zukunft!“. Auf die Nachfrage, warum China nicht eine internationale Friedensmacht sei, auf die wir als Verbündete setzen können, antwortete Lubcke, dass es zwar richtig sei, dass China heute noch nicht die offene Konfrontation mit dem US-Imperialismus suche, sondern seinen Einfluss eher durch ökonomische Abhängigkeiten (wie die Neue Seidenstraße) ausbaue. Es sei der US-Imperialismus, angesichts des Aufstiegs Chinas immer aggressiver sei und seine Einflussgebiete weltweit mit militärischer Gewalt absichere, wie unter anderem der Angriff auf den Iran gezeigt habe. Doch auch hinter Chinas Politik stünden imperialistische Interessen – dass China heute noch nicht die offene Konfrontation suche mache es noch nicht zu einer Friedensmacht und China bereite sich immer stärker auf militärische Konflikte vor.

Gewerkschaften in die Offensive!

Als Hafenarbeiter berichtete Kay Jaeger zum Abschluss aus seiner Arbeit in Betrieb und Gewerkschaft. Obwohl die Kollegen unterschiedliche Meinungen zum Thema Krieg und Aufrüstung hätten würden sie eins teilen: Die Angst um ihre Kinder in Bezug auf die Wehrpflicht. Die extremen Angriffe auf den Sozialstaat und erkämpfte Rechte, wie den 8-Stunden-Tag, mache die Angebote des Militärs immer attraktiver. So betonte Jaeger: „Aufrüstung findet auch über ökonomische Zwänge statt“. Er berichtete von dem NATO-Manöver im letzten Jahr, bei dem er bei der Arbeit einen Bundeswehr-Checkpoint und schwerbewaffnete Soldaten passieren musste, und zeichnete für die Teilnehmenden ein konkretes Bild davon, was die Militarisierung im Arbeitsleben, insbesondere am Hafen, bedeutet. Außerdem stellte er heraus, dass die Kriegspropanda ihre Wirkung zeigen würde und Kollegen auf der Arbeit, die vorher noch an einem Tisch saßen, spalten würde. „Wir müssen als Gewerkschafter diese Leute wieder zusammenbringen! Das, was uns eint, ist der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital, wir müssen die Gewerkschaften wieder in die Offensive, zum Kämpfen bringen!“ Die Bilder aus Frankreich oder aus Genua würden Hoffnung geben, aber auch verdeutlichen, wo wir in Deutschland derzeit stehen. Daraus ergäbe sich noch einmal mehr die Dringlichkeit, die bürokratisierten Gewerkschaften unter Druck zu setzen und sie wirklich zu Organisationen der Arbeiterklasse zu machen.

Am 3. Oktober gemeinsam auf die Straßen!

Die Friedenskonferenz leistete einen wichtigen Beitrag für die Friedensbewegung, indem sie unterschiedliche Standpunkte und verschiedene Menschen zusammenbrachte. Immer wieder hat sich gezeigt, dass der Blick in die Geschichte der Arbeiterbewegung uns Kraft gibt für die Kämpfe, vor denen wir stehen. Denn nur die Arbeiterklasse kann die laufenden Kriege und das Wettrüsten aufhalten, in dem sie Stärke in sich selbst findet und die internationale Solidarität hochhält. Obwohl die Beiträge aus unterschiedlichen Bereichen kamen, riefen alle zum Protest auf die Straße, gegen das NATO-Manöver sowie zur Demonstration am 3. Oktober auf!

Eine Aufzeichnung der Friedenskonferenz gibt es hier.