Komplettüberwachung im Namen der Gefahrenabwehr

Ob in Hessen, NRW, Bayern und jetzt auch Baden-Württemberg: Immer mehr Bundesländer nutzen die Software vom US-Konzern Palantir und bauen damit die Befugnisse der Polizei zur Durchleuchtung der Bevölkerung massiv aus.

Die Begründung? Zur Bekämpfung der Kriminalität soll die Software es der Polizei vereinfachen, Personen samt ihrer Daten ausfindig zu machen, „Gefährder“ rechtzeitig zu erkennen und „Straftaten“ zu verhindern bzw. anzuklagen. Erst kürzlich kündigte Bundesdigitalminister Wildberger (CDU) auf dem Digitalgipfel in Berlin an, Palantir bundesweit zum Einsatz bringen zu wollen. Die Diskussionen darum halten weiter an. Während gegen die kürzlich beschlossene Nutzung in Baden-Württemberg rund 13 Tausend Unterschriften gesammelt wurden, bezeichnet die Polizeigewerkschaft diese als alternativlos. Doch auch von Datenschützern, Juristen oder liberalen Kräften wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte wird die Nutzung in verschiedenster Hinsicht als Gefahr für die Demokratie und den Rechtsstaat kritisiert.

Was hat es mit Palantir auf sich?

Palantir ist ein US-amerikanischer Techkonzern, der Software zur Analyse großer Datenmengen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz verkauft. Gegründet im Jahre 2003 unter anderem vom US-Milliardär und Mitbegründer von Paypal, Peter Thiele, gehörten zu den Kunden und zentralen Mitfinanzierern des Konzerns schnell zahlreiche US-amerikanische Geheimdienste wie die CIA, FBI und die Marine Corps. Sie wollten die Geheimdienste unter dem Deckmantel des 11. September und dem „Kampf gegen den Terror“ technisch aufrüsten und die „Datenflut“ vom 11. September „beherrschbar“ machen. Und so wurde die Software in den darauffolgenden Jahren schnell zu einem allseits einsetzbaren Mittel: Sei es zur effektiven Kriegsführung des US-Militärs in Afghanistan oder im Irak, der Vereinfachung der brutalen Abschiebepraxis der ICE oder die totale und flachendeckende Überwachung durch die Polizeibehörden im Inland. Denn so konnte in zahlreichen Kriegen wie in Afghanistan und im Irak mit der Software gearbeitet werden, um Militäroperationen zu perfektionieren, Drohnendaten schnell zu erfassen und detaillierte Lagepläne für das Militär vor Ort abzugeben. Auch mit der US-amerikanischen Einwanderungs- und Zollverfolgungsbehörde ICE pflegt das Unternehmen seither zahlreiche Verträge, die sich jetzt mit der Nutzung der Software „ImmigrationOS“ zum Ziel gesetzt hat „den gesamten Lebenszyklus der Einwanderung von der Identifizierung bis zur Abschiebung“ durchleuchten zu können und so Abschiebungen zu vereinfachen. Mit Palantir wurde somit im Interesse der herrschenden Klasse ein zentrales Werkzeug entworfen, welches die ausgespähten, umfassenden Daten algorithmisch analysieren und auswerten kann. Bei der deutschen Polizei läuft jene Software unter dem Namen VeRa, Gotham oder HessenData. Doch gemeint ist letztendlich dasselbe: Eine Software, die extra für „Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste“ entwickelt worden und dazu in der Lage ist, Daten aus allen Quellen und Datenbanken zu verknüpfen, Bewegungsmuster, Telefonverbindungen, Sozial- und Polizeidaten zusammenzutragen und damit auf effektivste Weise Personen samt Aufenthaltsort zu identifizieren– mit dem Ziel, Menschen nicht nur erst für bereits begangene „Straftaten“ zu verfolgen, sondern sie präventiv zu überwachen, zu kontrollieren und als „Gefährder“ einzustufen zu können. Bundesinnenminister Dobrindt (CDU) machte sich dabei erst vor wenigen Wochen an die Prüfung der bundesweiten Einführung einer „Analysesoftware zur polizeilichen Verbrechensbekämpfung“, wobei bereits jetzt davon ausgegangen wird, dass es der Konzern Palantir sein wird, der gegen Unsummen vom deutschen Staat den Zuschlag für die Entwicklung einer Software zur deutschlandweiten Nutzung erhalten wird.

Repressionsapparat dringt tiefer durch

So erklärte die Polizeigewerkschaft vor Kurzem: „Die Bedrohungen aller freiheitlichen Gesellschaften durch anhaltenden Terror, Cyberattacken, Organisierte Kriminalität und Angriffe auf unsere Demokratie und Freiheit sind allgegenwärtig. Die Bewältigung von Massendaten erfordert nun einmal Analysetechniken, die in der Lage sind, Beziehungsmuster zu erkennen und Zusammenhänge herzustellen, die mit konventioneller Arbeitsweise von Ermittlungskräften kaum feststellbar wären.“ Wenn uns heute also aufgetischt wird, Palantir diene der „Verhinderung von Straftaten“, dann wird damit quasi nahtlos an die Erzählung vom „Kampf gegen den Terror“ angeknüpft. Die stetige Wiederholung jener Lügen und Bedrohungsszenarien dienen dazu, die Bevölkerung an den Ausbau der Polizeigesetze und den Einsatz von Überwachung zu gewöhnen. Was uns unter der Bekämpfung von Kriminalität und der Aufrechterhaltung „unserer“ Sicherheit verkauft wird ist nichts anderes als der Ausbau der Fähigkeiten des bürgerlichen Staates, um die Bevölkerung in bisher technisch nie dagewesener Tiefe durchleuchten zu können. Jene Überwachungstechnologien entfalten nun im Interesse der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung ihre volle Wirkung und nützen maßgeblich dabei, diese Stabilität zu sichern. Denn je tiefer das kapitalistische System in Widersprüche gerät, umso mehr braucht es jene Mittel, um das Fundament stabil zu halten. Dass diese Technologien längst weit über den polizeilichen Einsatz hinaus angewendet werden, zeigt auch ihr heutiger Einsatz in Kriegen wie in der Ukraine oder in Palästina. Bereits seit Sommer 2022 nutzt das ukrainische Militär die Software „MetaConstellation“ von Palantir, um Daten aus Satelliten zusammenzuführen, eine schnelle Zielerfassung zu ermöglichen und sogar im Kriegsszenario Bewegung als solche von rund 30 Sekunden im Vorfeld vorhersehen zu können. Auch die Zusammenarbeit Palantirs mit Israel verstetigte sich insbesondere seitdem durch Israel verübten Genozid an dem palästinensischen Volk. Denn mit der Software lassen sich Zielpersonen und -orte so genau bestimmen lassen, dass damit präzise Drohnenangriffe ermöglicht und immer konkreter als Kriegswaffe eingesetzt werden.

Scheinheilige Kritik

Seit der ersten Einführung der Palantir-Software in Deutschland formierte sich Kritik aus allen Ecken, die dabei nicht selten in eine Schieflage gerät. Abgestellt wird in der Kritik darauf, dass das Problem an der Nutzung der Software von Palantirs Mitbegründer Peter Thiele aufgrund seiner Beziehungen zum US-Präsidenten Trump selbst liegt. So erklärte die Linken-Politikerin Clara Bünger vor Kurzem: „Hinter Palantir steht Peter Thiele, ein erklärter Gegner demokratischer Grundwerte, enger Vertrauter Donald Trumps und Multimilliardär.“ – Doch Vorsicht sollte man walten lassen, Palantir mit jener Begründung zu einem moralischen Problem aufzublasen, wodurch in erster Linie der eigentliche Charakter verschleiert wird. Denn Palantir ist nicht verwerflich aufgrund der Tatsache, dass dessen Mitbegründer keine „demokratischen Grundwerte“ vertritt, sondern dass in Palantir selbst überhaupt kein neutrales Instrument liegen kann. Und so macht die Kritik in einigen Teilen einen weiteren Schlenker. So heißt es in der Stellungnahme der Polizeigewerkschaft weiter: „Bedauerlich ist, dass Europa die letzten Jahre nicht genutzt hat, um heimische Produkte dieser Leistungsstärke zu entwickeln, sodass die Sicherheitsbehörden wieder einmal darauf angewiesen sind, Produkte zu nutzen, die nicht auf unserem Kontinent entwickelt wurden. Aber die USA sind bekanntlich nicht „das Reich des Bösen“, sondern seit Jahrzehnten unser verlässlicher Bündnispartner, auch und gerade im Sicherheitsbereich.“ – Nach dem Motto „Überwachung nur aus eigener Produktion“ wird damit in keinem Wort die Einsetzung der Software selbst kritisiert, sondern lediglich an die Unabhängigkeit Deutschlands und dessen Ausbau des Technologiemarktes plädiert. Insbesondere liberale Kreise von Juristen und Datenschützern warnen davor, dass die Nutzung der Palantir-Software die bürgerliche Demokratie gefährde. Und so sind es selbst jene, die dabei teilweise einräumen, dass diese den Polizeibehörden die Möglichkeit geben kann, die Anwendung der Software grenzenlos auszudehnen und für andere Zwecke anstatt „gegen den Terror“ auszuweiten. Doch ein Instrument, wodurch sich der Staat technologisch immer umfassender bewaffnet, wird in jener bürgerlichen Demokratie stets seinen Platz finden, um diesen Bedarf decken zu können. Deutschland zementiert mit diesen Überwachungswerkzeugen seinen Repressionscharakter, fährt massive Angriffe auf unsere demokratischen Rechte und die Privatsphäre eines jeden Einzelnen und bereitet sich gleichzeitig vor, jene bei Bedarf gegen jeglichen Protest oder vermeintliche Straftaten einzusetzen und ihre Befugnisse dafür auszubauen. Der Diskurs rund um „Wer nichts zu verbergen hat, braucht nichts zu befürchten“ verliert dabei schnell an Grundlage, wenn zum einen allein die Tatsache „nichts zu verbergen zu haben“ keine Legitimation dafür darstellen sollte, dass der Staat die Daten der gesamten Bevölkerung durchleuchten und sie auf Schritt und Tritt verfolgen kann. Auch wenn wir uns zum anderen sowohl historisch als auch aktuell anschauen, wie soziale Bewegungen durch Verfassungsschutz und Polizei kriminalisiert, überwacht und mundtot gemacht werden, kann letztlich niemand sich darüber sicher sein, was der Staat als „verbergenswert“ betrachtet. Mit jener technologischen Durchdringung liegt in Palantir kein Mittel, was für weitere Zwecke „missbraucht“ werden könnte, sondern eines, was vielmehr explizit bewusst und flächendeckend eingesetzt werden soll. Erstmal in den Händen eines bürgerlichen Staates, stellt die Nutzung als solche bereits eine Kampfansage an die Bevölkerung dar.