Um diese Forderung besser verständlich zu machen und umzusetzen, wurde sie zu „gleichem Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ weiterentwickelt. Dennoch nimmt die Lohnungleichheit weiter zu. Die Lohnungleichheit besteht weiterhin zwischen Frauen und Männern, jungen und alten Menschen, Migranten und Einheimischen oder, wie in Deutschland, zwischen „Ost und West“. Die jüngste Entscheidung des BAG und die „Lohntransparenzrichtlinie“ der EU, die 2026 in Kraft treten wird, werfen die Frage auf, ob dies die Situation ändern wird.
Arbeiterinnen müssen keine umfangreichen und detaillierten Statistiken vorlegen, um zu beweisen, dass sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass ein direkter Vergleich mit einem einzigen besser verdienenden männlichen Kollegen ausreichen kann, um den Verdacht der Diskriminierung zu begründen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seiner Entscheidung vom 23.10.2025 (8 AZR 300/24) entschieden, dass ein Vergleich mit einem einzigen männlichen Kollegen für den Verdacht auf geschlechtsspezifische Lohndiskriminierung ausreichend ist.
In dem vorliegenden Fall hatte eine Arbeiterin unter Hinweis auf die höheren Löhne ihrer männlichen Kollegen, die ähnliche Tätigkeiten ausübten, eine rückwirkende Anpassung ihres eigenen Gehalts gefordert.
Um die Rechtmäßigkeit ihrer Forderung zu belegen, hatte die Klägerin auf die eigenen Daten des Unternehmens zur Lohntransparenz verwiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass ein einziger Vergleich nicht ausreichend sei, und sich dabei auf den Median der Löhne beider Geschlechtergruppen gestützt.
Das BAG widersprach dem LAG: Wenn eine Frau für gleiche oder gleichwertige Arbeit weniger bezahlt wird als ihr männlicher Kollege, entsteht ein rechtlicher Verdacht auf geschlechtsspezifische Diskriminierung. Dieser Verdacht muss vom Arbeitgeber durch objektive Gründe wie beispielsweise unterschiedliche Leistungen oder Qualifikationen widerlegt werden.
Gericht wird erneut beurteilen
Das BAG hat die Annahme des LAG in diesem Fall als falsch bewertet und die Fakten nicht ausreichend gewürdigt, weshalb es das Urteil teilweise aufgehoben und den Fall zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen hat. In der neuen Verhandlung soll geklärt werden, ob der Firmenleitung überzeugend darlegen kann, dass er in einem intransparenten Vergütungssystem keine Lohndiskriminierung praktiziert.
Die Entscheidung des BAG ist auch im Zusammenhang mit der Umsetzung der am 6. Juni 2023 in Kraft getretenen „EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz“ in nationales Recht zu sehen. Die Richtlinie muss bis spätestens 6. Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt werden.
Ein ähnliches Gesetz, das „Entgelttransparenzgesetz”, trat am 6. Juli 2017 in Deutschland in Kraft. Dieses Gesetz, das Millionen von Arbeitnehmern betrifft, die von Lohndiebstahl betroffen sind, hat jedoch keine positiven Veränderungen gebracht. Alle Kritikpunkte der Gewerkschaften und Juristenverbände sowie ihre Vorschläge zur Umsetzung und Erleichterung der Anwendung des Gesetzes wurden nicht berücksichtigt. Das Gesetz macht zum einen zu viele ausnahmen und zum anderen gilt es in Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten nicht. In vielen Paragrafen ist es zudem nicht Präzise genug bzw. lässt Raum für Interpretationen.
Lohnungleichheit ist nicht nur ein Problem der Frauen
Wenn die Forderung nach „gleichem Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit” aufkommt, denkt man natürlich zuerst an Kolleginnen. Je nach der Institution, die die Lohnungleichheit berechnet, schwankt dieser Anteil zwischen 16 und 21 Prozent. In sehr wenigen Branchen (z. B. Pflege) sind die Löhne von Kolleginnen denen ihrer männlichen Kollegen gleich.
Nach Berechnungen des DGB und verschiedener Frauenorganisationen, die den Lohnunterschied zwischen weiblichen und männlichen Beschäftigten aufzeigen, haben Kolleginnen in den ersten 66 Tagen des Jahres 2025 (1. Januar bis 7. März) praktisch unentgeltlich gearbeitet. Betrachtet man Ost und West, so steigt die Zahl der Tage, an denen weibliche Arbeitnehmer „unentgeltlich” arbeiten. Die Löhne der Frauen in Ostdeutschland sind noch niedriger.
Wie viele Tage Frauen in Ostdeutschland zusätzlich „unbezahlt” arbeiten, wurde nicht genau berechnet. Obwohl seit der Wiedervereinigung Deutschlands bereits 35 Jahre vergangen sind, sind die Löhne noch immer nicht angeglichen. Nach Angaben der verschiedenen Einrichtungen, die den Lohnunterschied zwischen Ost und West berechnet, liegt die durchschnittliche Lohnungleichheit zwischen 17 und 21 Prozent. Das bedeutet, dass Beschäftigte in Ostdeutschland 77 Tage „unbezahlt” arbeiten.
In einigen Branchen wie im öffentlichen Dienst sind die Löhne angeglichen, was bedeutet, dass die Lohnungleichheit in vielen anderen Branchen noch deutlich größer als 17 bis 21 Prozent ist.
EU-RICHTLINIE ZUR LOHNTRANSPARENZ
Die EU-Richtlinie zur Lohntransparenz (RL (EU) 2023/970) zielt darauf ab, das geschlechtsspezifische Lohngefälle (Gender Pay Gap) zu verringern und die Lohngleichheit in der EU zu stärken. Diese Richtlinie, die bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss, verpflichtet Unternehmen zu mehr Transparenz, beispielsweise durch das Recht der Beschäftigte auf Information, die Informationspflicht bei Bewerbungen und die Berichtspflicht für große Unternehmen.
AUS SICHT DER BESCHÄFTIGTEN:
Recht auf Information: Beschäftigte haben das Recht, nach Geschlecht aufgeschlüsselte Informationen über ihr eigenes Gehalt und die Durchschnittsgehälter ihrer Kollegen in ähnlichen Positionen zu erhalten.
KEIN REDEVERBOT:
Firmen dürfen ihren Beschäftigten nicht vertraglich verbieten, über ihre Gehälter zu sprechen.
Recht auf Information: Firmen sind verpflichtet, auf Anfrage Informationen über die Kriterien für die Festlegung und Entwicklung der Gehälter zu geben.
Rechte im Falle von Diskriminierung: Beschäftigte können im Falle von Lohndiskriminierung bis zu drei Jahre lang Schadenersatz verlangen.
IN BEZUG AUF UNTERNEHMEN:
Bewerbung: In Stellenanzeigen müssen Einstiegsgehälter oder Gehaltsspannen angegeben werden. Es ist verboten, nach dem aktuellen Gehalt zu fragen.
Informationspflicht: Auf Anfrage müssen Informationen über die individuellen und durchschnittlichen Gehälter vergleichbarer Kollegen gegeben werden.
BERICHTSVERPFLICHTUNGEN:
Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten müssen einen jährlichen Bericht über geschlechtsspezifische Lohnunterschiede vorlegen.
Geheimhaltungsverbot: Unternehmen dürfen ihre Gehaltsstruktur nicht mehr geheim halten.
Umsetzung in Deutschland: Die Richtlinie muss bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt werden.
Die Umsetzung geht über das bestehende deutsche Lohngleichheitsgesetz hinaus. Die konkreten Anforderungen der Richtlinie betreffen zwar nur große Unternehmen, aber die Berichtspflichten gelten unabhängig von der Größe für alle Unternehmen.
Migranten, Leih- und Saisonarbeiter
Neben Frauen und ostdeutschen Beschäftigten sind auch Migranten, Leih- und Saisonarbeiter von Lohnungleichheit betroffen. Es gibt nur sehr wenige Studien darüber, wie viel diese Beschäftigte weniger verdienen. Untersuchungen des DGB zeigen, dass Migranten im Allgemeinen die gleiche oder gleichwertige Arbeit wie ihre einheimischen Kollegen verrichten, im Durchschnitt etwa 25 % weniger Lohn erhalten. In solchen Untersuchungen wird außerdem lediglich festgestellt, dass Migrantinnen weniger Lohn erhalten als Migranten, ohne dass konkrete Zahlen genannt werden.
Eine ähnliche Situation besteht auch bei Leih- und Saisonarbeitern. Es gibt keine Untersuchungen, die die Lohnungleichheit in diesen Bereichen in ihrer ganzen Realität aufzeigen. Leih- oder Saisonarbeiter werden vieler Rechte beraubt, die festangestellte Arbeitnehmer des Unternehmens, in dem sie arbeiten, genießen (Überstundenzuschläge, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld usw.).
Kampf gegen Lohnungleichheit
Es gibt viele weitere Beispiele für Lohnungleichheit oder besser gesagt Lohndiebstahl (Löhne von jungen Beschäftigten oder die von Mindestlohnempfängern). Hinzu kommt, dass diejenigen, die für niedrige Löhne arbeiten müssen, im Alter von Armut bedroht sind.
Es ist bekannt, dass dieses Problem nicht nur eine begrenzte Zahl von Arbeitnehmern betrifft, sondern Millionen von Arbeitnehmern – darunter Frauen, Migranten, Ostdeutsche, Leiharbeiter –, also die Mehrheit aller Beschäftigten. Daher reicht es nicht aus, ein- oder zweimal im Jahr an die Forderung „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit” zu erinnern, sondern es muss ernsthaft dafür gekämpft werden. Dieser Kampf bzw. Forderung darf nicht nur auf gesetzliche Regelungen beschränkt bleiben (wie es jahrzehntelang der Fall ist!), sondern muss bei jeder Gelegenheit, insbesondere in Zeiten von Tarifverhandlungen, vorgebracht werden. Alle von den Gewerkschaften unterzeichneten Tarifverträge sollten die Formulierung „gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit” enthalten.
Das bedeutet nicht, dass diese Gesetze unwichtig sind. Wie bei so vielen Gesetzen muss auch hier dafür gekämpft werden, dass sie neu geregelt und tatsächlich umgesetzt werden.
Bei der Forderung nach gleichem Lohn handelt es sich nicht nur um den Kampf für eine Verbesserung der jeweiligen betroffenen Gruppen. Denn die ungleiche Bezahlung der Arbeiter hat auch strategische Vorteile für den Arbeitgeber. Er hat dadurch die Möglichkeit die Belegschaft zu spalten und gegeneinander auszuspielen. Diese Spaltung ist noch wirksamer, wenn sie mit rassistischer oder frauenfeindlicher Hetze kombiniert wird. Aber um erfolgreich zu sein, muss die Arbeiterklasse ihre Kämpfe als Einheit führen. Sie muss erkennen, dass es nicht Leiharbeiter oder Frauen sind, die ihre Löhne drücken, sondern die Kapitalisten. Sie muss auch erkennen, dass eine Erhöhung der Löhne für Frauen auch für die Männer gut ist und eine Erhöhung der Löhne für Migranten auch für Einheimische. Denn der Kampf gegen Lohnungleichheit stärkt die Einheit der Arbeiterklasse und stärkt daher ihre Kraft im Klassenkampf. Am Ende stärkt er so uns alle!




