Am 5.12. streikten 55.000 Schüler in ganz Deutschland gegen die Wehrpflicht, dessen schrittweise Wiedereinführung in dem an diesem Tag im Bundestag beschlossenem neue Wehrdienstgesetz beinhaltet. Doch mit dem beschlossenen Gesetz ist der Kampf keineswegs verloren – im Gegenteil, er wird einen langen Atem brauchen.
Das Hin und Her mit der Wehrpflicht
Die Debatte rund um die Wehrpflicht ist in den letzten Monaten dauerpräsent. Das Schwanken der Regierung, die immer wieder neue Vorschläge aufbrachte – von sofortiger Pflicht für alle bis zu Losverfahren – ist dabei kein Zufall. Einerseits gibt es tatsächlich unterschiedliche Bewertungen dazu, wie die Truppenstärke der Bundeswehr am effektivsten gestärkt werden kann. (Dass die Bundeswehr gestärkt werden muss, darüber besteht in der Politik- und Medienlandschaft weitgehend Einigkeit). Einige Stimmen erklärten, dass ein Wehrdienst für alle zu teuer wäre und die Strukturen der Bundeswehr überlasten würde. Andere versuchen, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und durch ein Gesellschaftsjahr auch dringend benötigte, billige Arbeitskräfte im sozialen Bereich gleich mitzubeschaffen. Doch dass diese verschiedenen Positionen öffentlich abgewogen wurden, hat auch einen weiteren Effekt: Die Reaktion wird getestet. Denn wir alle wissen, dass es vor wenigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre, mit dem Argument eines drohenden, großen Krieges die gesamte Jugend zu militärischem Dienst zu verpflichten. In der Zwischenzeit wurde ein gesellschaftliches Klima geschaffen, dass zahlreiche Tabus gebrochen hat. Denn es war nicht abzusehen, ob die Wiedereinführung der Wehrpflicht ohne großen Widerstand über die Bühne gehen würde. Und so wurde hin- und her diskutiert, der Aspekt der Freiwilligkeit immer weiter aus den Entwürfen gestrichen und sich am Ende auf einen Kompromiss geeinigt, der wie das geringere Übel aussehen soll: 260.000 Soldatinnen und Soldaten soll die Bundeswehr umfassen – das wären 80.000 mehr als heute. Dafür bekommen alle ab Jahrgang 2008 Fragebögen zugesandt (unter anderem zur Bereitschaft zum Wehrdienst), die von den Männern auch beantwortet werden müssen. In 24 noch aufzubauenden Musterungszentren sollen die Männer dann flächendeckend gemustert werden, sobald dafür die Kapazitäten geschaffen sind, und ihre Wehrfähigkeit so geprüft werden. Der eigentliche Wehrdienst bleibt dann vorerst freiwillig – sollte die gewünschte Truppenstärke der Bundeswehr so nicht erreicht werden, sieht das Gesetz eine schnelle und einfache Wiedereinführung der Wehrpflicht vor und die Freiwilligkeit ist schnell Geschichte.
Warum ist die Jugend gegen die Wehrpflicht?
Der Zwang ist schon heute einer der Hauptgründe, warum ein Großteil der Jugend gegen dieses Gesetz ist. Circa zwei Drittel sprechen sich in Umfragen dagegen aus – während in der Gesamtbevölkerung eine Mehrheit dafür zu sein scheint. Doch auch die weit verbreitete Gegnerschaft in der Jugend ist nicht zwangsläufig Ausdruck einer antimilitaristischen Haltung, sondern hat ganz unterschiedliche Ursachen: Einschränkung der individuellen Freiheit, das allgemeine Gefühl, als Jugend nicht gehört zu werden oder die persönliche Präferenz anderer Tätigkeiten.
Kein Wunder, denn eine antimilitaristische Haltung ist gerade heute keineswegs der einfache Weg. So wurde im Vorlauf des Schulstreiks in Interviews immer wieder deutlich, dass das Argument der „Bedrohung aus dem Osten“ heute nur aus der Schublade gezogen werden braucht, um zu verunsichern. Selbst die Bundesschülerkonferenz sprach sich (entgegen der Haltung des Großteils der Jugend) nicht gegen die Wehrpflicht aus. Und obwohl der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Quentin Gärtner, auf Nachfrage in einem Interview des phoenix sogar festhielt, dass die Ablehnung des Wehrdienstes „tatsächlich nicht die Haltung der Bundesschülerkonferenz“ sei, dass aber Investitionen in die Zukunft und mentale Gesundheit eben auch wichtig seien, blieb auch er nicht verschont: „Diese Investitionen werden wahrscheinlich nichts ausrichten können gegen die aktuelle Bedrohung von Russland beispielsweise, was ist denn ihre Antwort darauf?“
Auch aufgrund dieses massiven ideologischen Drucks sah es lange so aus, als würde das Gesetz ohne spürbare Reaktion aus der Jugend verabschiedet werden – bis einige Tage vor dem 5. Dezember.
Der Schulstreik
Schon seit Monaten wurde in zahlreichen Städten in Bündnissen unter dem Namen „Nein zur Wehrpflicht“ ein Protest geplant. Dieser sollte mit einem Streik derjenigen verbunden werden, die von diesem Gesetz am direktesten betroffen sein werden: Der Schülerschaft. Die Bewegung nahm in den Wochen vor dem 5.12. an Fahrt auf. An zahlreichen Schulen bildeten sich Streikkomitees mit dem Ziel, für den großen Schulstreik zu mobilisieren – bereits am 27. November verkündete das Bündnis, dass diese in 90 Städten bestehen. In einigen Bundesländern riefen Landesschülervertretungen mit auf. Auch die GEW und die Gewerkschaftsjugenden unterstützten die Aktionen vielerorts, Studierendenvertretungen, Jugendorganisationen und auch die Linkspartei riefen mit auf. Auch in den sozialen Medien wurde der Streik ein immer größeres Thema, Videos zum Thema gingen viral. Grund genug für Verteidigungsminister Boris Pistorius, am Tag vorher ein Video aufzunehmen, in dem er lobte, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland solche Streiks überhaupt zulässt und dass Staat und Demokratie eben verteidigt werden müssten – dafür sei der Wehrdienst da. Dass das nicht stimmt, spürten die Schüler der Streikkomitees häufig selbst: In Medien und an vielen Schulen wurde Schüler versucht, einzuschüchtern und mit Konsequenzen fürs Streiken bis hin zu Schulverweis gedroht. Auch wurden einige Streikkundgebungen und Zubringer Demos von Polizei und Versammlungsbehörde behindert und verboten oder die anwesenden Schüler eingeschüchtert. Doch die Streikenden ließen sich nicht beirren.
Bereits am Vormittag kamen die ersten Meldungen: 10.000 in Berlin, 5.000 in Hamburg, am Vorabend 4.000 in München, 1.000 in Essen, 1.000 in Frankfurt, 1.500 in Göttingen, Stuttgart fast 1.000… Insgesamt waren 55.000 Schülerinnen und Schüler auf der Straße. Die Demozüge waren geprägt von Schildern und Bannern, die eine klare Haltung vermittelten: Gegen die Wehrpflicht, aber auch gegen den Krieg insgesamt. Viele Botschaften machten eine klare Klassenperspektive auf: „Merz, geh doch selbst an die Front“, „Ihre Kriege führen wir nicht“ oder „Die Reichen wollen Krieg, die Jugend eine Zukunft“. In vielen Städten sprachen neben Schülern aus den Streikkomitees auch Gewerkschaftsjugenden und Schülervertretungen oder solidarische Beschäftigte. So kamen in einigen Orten Lehrer mit ihren Schulklassen zum Streik und in München sprachen Beschäftigte der Tram, die sich weigern, Straßenbahnen mit Bundeswehr-Werbung zu fahren.
Befragte man die Passanten am Straßenrand, dann stellte sich teils ein anderes Bild dar, als Meinungsumfragen vermuten lassen. Der Großteil der Erwachsenen drückte, teils begeistert, ihre Solidarität aus und auch viele, die prinzipiell für die Wehrpflicht waren, unterstrichen, dass die Bundesregierung mehr für den Frieden tun müsse und dass die Angst der Jugend in diesen Zeiten durchaus berechtigt sei. Auch Medien schienen teils von dem Aufgebot der Streiks überrascht, die Berichte über die Demos wurden immer zahlreicher.
Der 5.12. markiert einen Tag, an dem etwas an die Oberfläche gebrochen ist, was schon lange brodelt. Die Ablehnung der Jugend gegen die Wehrpflicht hat sich in Widerstand verwandelt – und das war erst der Anfang.
Langer Atem nötig
Dass das Wehrpflichtgesetz verabschiedet wurde, darf nicht als Ende der Bewegung betrachtet werden – im Gegenteil. Die ersten Fragebögen werden bald verschickt, zu den ersten Musterungen wird eingeladen werden und die Freiwilligkeit wird weiterhin diskutiert und angegriffen werden. Wenn der Generalstabschef der französischen Armee heute offen und ehrlich zugibt, dass wir „akzeptieren [müssen], unsere Kinder zu verlieren“, um „zu schützen, was wir sind“, dann ist damit auch der Kurs der Bundesregierung nur etwas ehrlicher ausgesprochen. Doch die Jugend hat auch gezeigt, dass sie dieses Schicksal nicht einfach hinnehmen wird. Die jahrelange Erfahrung, dass die Zukunft in diesem System keineswegs gesichert ist, sei es durch Rente oder fehlende Berufsperspektiven, trägt zur Bereitschaft bei, auf die Straße zu gehen. Zwei Jahre Palästina-Bewegung, in der zahlreiche Jugendliche die Waffenlieferungen Deutschlands an einen Genozid in Echtzeit mitverfolgen konnten, haben ihr übriges zu einer Politisierung von Teilen der Jugend beigetragen. Es ist diese Stimmung, die zum Erfolg des Streiks beigetragen hat. Jetzt gilt es, die Bewegung nicht abflachen zu lassen, sondern sie im Gegenteil weiter aufzubauen. So ist der nächste Schulstreik für den 5. März bereits angesetzt, die Schulstreikkomitees bleiben bestehen und sollen an noch mehr Schulen gegründet werden. Die nächsten Monate und Jahre werden davon geprägt sein, die Jugend immer weiter in die Kriegstüchtigkeit hineinzuziehen – und somit zahlreiche Anlässe für Gegenwehr bieten.
Es ist bereits abzusehen, dass diese junge Bewegung einen langen Atem braucht. Der Widerstand gegen Krieg und Militarisierung ist schwer zu integrieren und in systemerhaltende Bahnen zu lenken, wie es bei der Umweltbewegung immer wieder versucht wurde. Mit der Zeitenwende wurde die Militarisierung hin zur Kriegstüchtigkeit zu einem der obersten Ziele des deutschen Imperialismus erklärt, um in der internationalen Konkurrenz die eigenen Interessen auch militärisch verteidigen zu können. Eine Bewegung, die dieses Ziel in Frage stellt, kann zu einem Problem für die Ziele des deutschen Imperialismus werden. Umso wichtiger wird es sein, sich mit den richtigen Argumenten auszurüsten, um die intuitive Kriegsgegnerschaft weiter zu einem Widerstand gegen Militarismus zu entwickeln. Denn die Jugend hat Recht damit, dass es nicht ihre Interessen sind, die in kommenden Kriegen verteidigt werden sollen. Ein Blick in die Ukraine, wo heute Wehrpflichtige an die Front gezwungen werden und Hunderttausende desertieren müssen, um einem Krieg zu entgehen, in dem sie nichts zu gewinnen haben, reicht aus, um diese Wahrheit zu unterstreichen. Der 5.12. darf nicht das Ende, sondern nur der Anfang sein.




