Sparen als System: Wie der Markt das Krankenhaus verschlingt

Die Bundesregierung spart, nennt es Reform und erklärt, das alles geschehe nur um „wegen des demografischen Wandels das System zu stabilisieren“.

Diesmal geht es um die Krankenhäuser. 1,8 Milliarden Euro weniger sollen sie bekommen. Dass die Milliarden an Aufrüstungsorgien, die man in letzter Zeit beschlossen hat, gegenfinanziert werden sollen, davon ist keine Rede, der Zusammenhang soll im Idealfall ausgeblendet werden. Denn was hier stabilisiert werden soll, ist nicht die Versorgung der Bevölkerung, sondern die Haushaltslogik eines kapitalistischen Staates, der auch militärisch ganz oben mitspielen möchte.

Profitsteigerung durch künstlichen Mangel

„Wir müssen die Finanzierbarkeit sichern“, sagt Gesundheitsministerin Nina Warken von der CDU. Was in Wahrheit gesichert werden soll, ist aber die Logik des Profits. Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung dürfen nicht steigen – das ist die eiserne Regel, weil jede Steigerung als „Belastung des Faktors Arbeit“ gilt und von den Arbeitgebern verhindert wird, die sich vor ihrer sozialen Verantwortung drücken möchten, wo sie nur können.

Also wird an anderer Stelle gespart. Nicht bei den Arzneimittelkonzernen, nicht bei den privaten Klinikbetreibern, sondern dort, wo keine Lobby laut genug schreit: bei Pflegekräften, Patienten, kleinen Häusern auf dem Land, bei den Kranken. Der künstlich erzeugte Mangel ist nicht Folge falscher Prioritäten – er ist die Priorität.

Das Märchen von der Effizienz

Seit Jahren wird das Gesundheitswesen nach betriebswirtschaftlicher Logik umgebaut. Die Einführung der Fallpauschalen hat die „Abrechnung“ als erste Priorität vor die „Behandlung“ gestellt. Jede Behandlung ist ein „Fall“, jede Diagnose ein ökonomischer Vorgang, jeder Patient ein Dollarzeichen, wenn man die richtige Behandlung abrechnen kann.

Diese Logik des Profits – von Medien, Arbeitgeberverbänden und Politik als „Modernisierung“ gefeiert – hat aus öffentlichen Kliniken Unternehmen gemacht. Pflege wird reduziert, Personal ausgelagert, die Arbeitsverdichtung zum Normalzustand. Private Träger wie Helios oder Asklepios schöpfen Gewinne ab, während öffentliche Häuser – meist auf dem Land – ums Überleben kämpfen.

Wenn die Regierung jetzt 1,8 Milliarden kürzt, drängt sie die öffentlichen Kliniken weiter in die Defensive und ebnet den Weg für jene, die Rendite aus Krankheit für ihre Privatinvestoren ziehen. Das Sparen soll den Sektor disziplinieren und ihm Konzentration und Effizienzsteigerung aufzwingen. Hört sich an, als würden Wirtschaftsberater reden und nicht Gesundheitspolitiker.

Der sogenannte Transformationsfonds aus dem zum 12. Dezember 2024 eingeführten Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), der mit 50 Milliarden Euro bis 2035 Krankenhäuser „neu aufstellen“ soll, ist dabei auch kein „Rettungspaket“. Er ist das Investitionsprogramm für eine kapitalistische Umstrukturierung des Gesundheitswesens: Schließungen, Fusionen, Spezialisierungen. Offiziell für mehr Qualität – tatsächlich für weniger Daseinsvorsorge.

Der kalte Strukturwandel

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) spricht von einem „kalten Strukturwandel“: Der Markt entscheidet, welche Häuser überleben. Das ist politisch bequem, weil der Staat die Verantwortung abgeben kann. Nicht die Regierung schließt Kliniken – die Ökonomie tut es für sie, die Politik zieht sich zurück, der Markt erledigt die schmutzige Arbeit.

Doch die Deutsche Krankenhausgesellschaft ist dabei keine Gegenkraft, sondern Teil dieses Mechanismus. Sie gibt sich als Anwältin der Krankenhäuser, doch ihre Sprache ist die der Betriebswirtschaft, nicht der Versorgung. Ihre Kritik an der Politik richtet sich nicht gegen die Marktlogik selbst, sondern gegen deren unzureichende Finanzierung. Wenn die DKG von „unzumutbaren Bedingungen“ spricht, meint sie nicht überforderte Pfleger oder verlorene Patienten, sondern defizitäre Bilanzen. Sie verteidigt die Institution Krankenhaus – nicht das Recht auf Gesundheit. In ihren Forderungen steckt kein Widerstand gegen die Ökonomisierung des Gesundheitswesens, sondern der Wunsch nach besseren Spielregeln im selben Spiel. Die DKG klagt über die Kälte des Marktes, will ihn aber nicht abschaffen, sondern nur aufheizen – mit frischem Geld aus öffentlichen Kassen. Ihr Protest ist daher kein Bruch mit der neoliberalen Logik, sondern ihre Fortsetzung unter dem Banner der „Versorgungssicherheit“.

Die Klassenfrage im Krankenhaus

Diese Entwicklung ist eine Klassenfrage. Wer Geld hat, findet Behandlung; wer keines hat, Pech gehabt. In reichen Regionen entstehen Hightech-Zentren, in strukturschwachen Gebieten verschwinden Geburtsstationen und Notaufnahmen.

Gesundheit wird zur Standortfrage. Ein gutes Krankenhaus ist kein selbstverständlicher Teil öffentlicher Infrastruktur mehr, sondern ein Vorteil im Wettbewerb um Fachkräfte und Investoren.

Wer in prekären Jobs arbeitet, kann sich Zusatzversicherungen kaum leisten. Wer schlecht wohnt, lebt auch gesundheitlich schlechter. Der Sozialstaat, einst als Ausgleich gegen eine sozialistische Revolution gedacht, zieht sich zurück und überlässt die Gesundheit den Kräften des Marktes.

Sparen als Ideologie

Die Ministerin Warken verkauft das Sparpaket als „verantwortungsvoll“. Aber „Verantwortung“ ist hier die Unterordnung unter die Haushaltsdisziplin zur Finanzierung der Aufrüstung. Die Kürzung wird als rational und zwingend notwendig dargestellt, quasi als alternativlos. Das vier Milliarden schwere Infrastrukturprogramm, das angeblich den Kliniken helfen soll, ist die moralische Kulisse für dieselbe Politik: Man nimmt mit der einen Hand, was man mit der anderen gibt und finanziert dadurch die Schließung von finanziell nicht lukrativen Standorten im Sinne von Investoren und großen Gesundheitskonzernen. Das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz folgt diesem Muster. Ihre „Leistungsgruppen“ und „Vorhaltepauschalen“ sollen Qualität sichern, aber in Wahrheit selektieren sie. Nur wer sich die teure Ausstattung leisten kann, bekommt Planungssicherheit – und damit Überlebenschancen. Kleine Häuser werden in die Nische gedrängt oder verschwinden ganz. Der Markt bleibt Richter über die Versorgung. Reform bedeutet hier nicht Fortschritt, sondern Disziplinierung: Anpassung an die Profitlogik unter dem Deckmantel der Modernisierung.

Gesundheit als Ware

Das ist die ideologische Wurzel der gesamten Entwicklung. Gesundheit ist kein „öffentliches Gut“, sondern als Kostenfaktor. Das Menschenrecht auf medizinische Versorgung wird ökonomisch übersetzt: Was sich rechnet, wird gemacht – alles andere fällt unter „Effizienzverlust“.  Diese Ideologie der „Gesundheit als Kostenfaktor“ ist so selbstverständlich geworden, dass kaum jemand sie noch in Frage stellt. „Nachhaltigkeit der Systeme“ für zukünftige Generationen wird betont, es wird nicht mehr von „Gerechtigkeit im Gesundheitsbereich“ gesprochen.

Der Kapitalismus macht auch das Heilen zur Ware. Er zwingt jedes soziale Verhältnis unter das Gesetz der Verwertung. Das Krankenhaus wird zur Fabrik, der Körper zum Rohstoff, die Pflege zur unbezahlten Arbeit im Schatten der Profite. Wenn ein Kaiserschnitt mehr Geld bringt, als eine natürliche Geburt, wird er mehr angewandt. Die Rate der Kaiserschnitte hat sich seit 1991 mehr als verdoppelt und lässt sich nicht mit dem Anstieg der Risikoschwangerschaften mit durchschnittlich 31,5 Jahren der Mütter erklären, aber durchaus mit der besseren Vergütung. Das gleiche gilt für Amputationen, von denen 4 von 5 vermeidbar wären, würden sie nicht oft besser vergütet werden!

Der Preis der Stabilität

Die Regierung feiert Stabilität, doch was sie erzeugt, ist Erschöpfung. Überarbeitete Pflegekräfte, geschlossene Stationen, sinkende Versorgungsqualität – das ist der reale Preis, den die Gesellschaft zahlt. Gesundheitspolitik ist längst zum Spiegel eines Staates geworden, der öffentliche Daseinsvorsorge, Gesundheit, Bildung, Mobilität privatisiert. Nicht weil er muss, sondern, weil er will. Weil die ökonomische Ordnung verlangt, dass alles, was nicht Profit bringt, als Belastung gilt.

Die Krise des Gesundheitswesens ist keine Naturkatastrophe, sondern politisch gewollt. Sie folgt der Logik einer Gesellschaft, die Versorgung als Kostenstelle behandelt und Profit über alles stellt.

Ein solidarisches Gesundheitssystem wäre möglich. Aber es wäre nur zu haben, wenn man die Grundfrage anders beantwortet: Nicht, wie sich Krankenhäuser rechnen, sondern wofür sie da sind. Doch das gibt es nicht freiwillig von diesem Staat des Kapitals. Es braucht daher entweder die Abschaffung des Kapitalismus oder zumindest einen entschlossenen Kampf der Arbeiterklasse gegen die Profitlogik im Gesundheitswesen.